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Die Flüchtlinge kommen

Mia die Feder > Nach'm Kriag

Die "Flüchtlinge" kommen.

Das Dorf wird immer voller. Die meisten "Evakuierten" sind noch da. Sie können nicht in die zerbombten Städte zurück. Dazu kommen jetzt noch viele neue Menschen. Es sind Heimatvertriebene, aber man nennt sie nur "die Flüchtlinge."
Meist sind es alte Leute, Frauen und Kinder. Niemand im Dorf ist von ihnen begeistert. Meist begegnet man ihnen mit Misstrauen und Ablehnung. Sie müssen ja alle versorgt und untergebracht werden. Niemand will in dieser Zeit noch neue Belastungen.
Für die Wohnungen ist der Kommissär zuständig. Der schaut in alle Häuser und führt Verzeichnisse über alle Räume. Die meisten Bauern, zwar nicht alle, wehren sich dagegen, denn sie wollen diese Leute nicht in ihren Häusern haben. Doch da werden einfach Zimmer beschlagnahmt. Auch die Familien, die keine Hauseigentümer sind, sind davon  betroffen.
Tante muss aus dem Friedrich Haus heraus. Sie bekommt eine kleine, feuchte, finstere Zweizimmerwohnung beim Meier in der Froschau, direkt an der "Lache". Die schönen Wohnzimmermöbel, die sie von Mama hat, müssen untergestellt werden.


Die Frau Schiller

Mutti kann mit Mann und ihren Buben im Austragshäusl bleiben, aber in der kleinen Dachkammer mit dem Pappefenster, wird Frau Schiller mit ihrer vielleicht zehnjährigen Tochter Regina eingewiesen. Mutti nimmt das einfach als gegeben hin. Sie hat Mitleid und teilt sogar das karge Essen.
Frau Schiller ist Witwe. Sie hat sich alleine mit ihrem Kind nach Bayern durchgeschlagen. Sie jammert nie und alle mögen sie und die Regina gern. Ich beneide Regina um ihren schönen Namen.
Weil Frau Schiller Hochdeutsch spricht, will sich mein Bruder Robert auch so mit ihr Unterhalten. So ruft er die Treppe hinauf: "Frau Schiller kommen Sie ra (runter)?
Doch nach einigen Monaten gehen Frau Schiller und Regina weg. Sie haben Verwandte in Norddeutschland gefunden, dort werden sie aufgenommen.
Auch Mama muss aus der Weichenrieder Wohnung raus. Sie bekommt das Austragshäusl beim Dengler zugewiesen. Es besteht aus einem Zimmer und einen kleinen Vorraum. Mama meint, für drei  Leute ist das einfach zu klein. "Ihr Mo is ja no net do und wenn er do is, do find ma dann scho a größere." Das war es.

Beim Dengler muss das Häuschen erst geräumt werden, bevor Mama einziehen kann. Der alte Dengler, ein grantiger Mann, muss in das Haupthaus und dort mit den zwei Töchtern in einem Raum schlafen. Ein großer Vorteil der neuen Wohnungen liegt darin, dass die drei  Frauen jetzt ganz nah beisammen wohnen.


Der Herr Dietz

Bei Mama spricht inzwischen schon der neue Mieter, Herr Dietz, vor. Er kommt mit seiner Frau und seinen Töchtern aus der Ukraine, wo er Bauer war. Sein Schwager, Herr Spieß, der mit seiner Frau und den Kindern auch hier angekommen ist, hat schon eine Wohnung. Ich finde, dass Herr Dietz, der immer so eine Russenmütze trägt,  ein interessanter Mann ist. Er ist groß, schlank und hat ein markantes Gesicht. Er unterhält sich gerne mit Mama. In einem harten, holprigen Deutsch erzählt er viel von seiner verlorenen Heimat und auch von der Vertreibung.
Weil ja der Papa in Russland ist, interessiert sich auch Mama für seine Schilderungen. Sein Benehmen ist einwandfrei, denn sonst würde sich Mama auf keinen Besuch und ein Gespräch mit ihm einlassen. Auf ihren guten Ruf achtet sie. Sie ist und bleibt eine tadelfreie, deutsche Frau.


Die Frau Gößl

Nachdem die nette Frau Schiller weg ist, kommt bald darauf eine neue Frau - Frau Gößl. Sie ist nicht mehr so jung und sie ist ein herber Typ. Sie trinkt gerne mal ein Bier, wenn es eines gibt und raucht auch, wenn sie irgendwo Kraut auftreibt. Sie will ihre wenigen Habseligkeiten unterstellen und das Dorf nach einigen Tagen wieder verlassen. Da zieht sie ihre Schnürstiefel an, auch ihre dicke Jacke, nimmt ihren Rucksack und begibt sich auf Wanderschaft.
Sie findet es schön, das Land auf Schusters Rappen zu erkunden. Sie meint, ein wenig zum Essen und einen Heuschober zum Übernachten findet sie immer wieder. Wenn sie auftaucht und im Winter auch mal länger bleibt, hat sie immer interessante Geschichten zu erzählen. Ist  das Häuschen voll ist, ist sie auch damit einverstanden in der Küche auf dem Sofa zu schlafen.


Der Herr Meixner

Dem Gockelbauer werden auch "Flüchtlinge" zugewiesen. Aber die Bäuerin nimmt das nicht tragisch. Das Haus ist groß und ein Zimmer ist frei. Da wird nun das Ehepaar Meixner untergebracht. Es sind schon ältere Leute, die immer ernst sind und kaum mal lachen. Vor der Vertreibung waren sie auch Bauersleute, die was von der Arbeit verstehen.
Fleißig helfen sie beim Gockelbauer. Der Herr Meixner ist groß, ganz dünn und sieht krank aus. Wenn mal Sonst keine Arbeit da ist oder wenn es ihm nicht gut geht, dann sitzt er im Hof und heizt den Kartoffeldämpfer, damit wieder Kartoffeln für das Saufutter da sind.
Wir Kinder sind immer hungrig, hängen immer in seiner Nähe herum und warten bis die Kartoffel fertig sind. Wenn er dann den Deckel öffnet; uns der Duft der fertigen Kartoffeln in die Nase steigt, stehen wir schon parat. Jedes Kind bekommt einig Kartoffel von ihm. Die schmecken einfach köstlich! Ob er die Erdäpfel einfach herschenken darf, weiß ich nicht. Auf alle Fälle sagt der Gockelbauer nie etwas..
Ich habe auch nie gehört, dass eine Sau vom Gockelbauer wegen der fehlenden Kartoffel verhungert ist.


Die junge Frau Klabeck

Meine Tante, die im Gegensatz zu Mama immer aufgeschlossen ist und gerne auf andere Menschen zugeht, lernt im Dorf die Frau Klabeck mit ihrer Tochter Susi kennen. Tante nimmt beide mit heim und sie können vorerst bei ihr unterkommen. Frau Klabeck ist Witwe. Ihr Mann war, wie sie sagt, nicht ganz arm. ie denkt, dass ihre Schwiegermutter noch lebt. Auch die hat durch die Vertreibung alles verloren. Die junge Frau Klabeck ist eine Schönheit mit dem Aussehen eines Engels. Eines Engels mit Sexappeal . Wenn sie lächelt und dabei ihre vollen Lippen etwas öffnet, zeigt sie ihre schönen Perlenzähne. Sie hat wunderbare blaue Augen, blonde Locken, die bis auf die Schultern fallen, eine tolle Figur und Beine wie Marlene Dietrich.
Sie kennt ihre Wirkung auf die Männer genau. Obwohl durch den Krieg bedingt, in Deutschland Männermangel herrscht, reißen sich viele um sie. So hat sie die freie Wahl.
Nun ist sie in Lenting mit dem Flüchtlingsstrom gestrandet. Aber hier ist mit der Haute volaute nicht viel los.
Doch trotzdem findet sie auch hier ihre Gönner und sie nutzt die Hilfsbereitschaft aller gnadenlos aus. Ein Lentinger, der ein großes Gartengrundstück hat, lässt darauf extra für sie ein kleines Blockhaus mit einem großen Zimmer errichten. Bis zur Fertigstellung wohnt sie bei Tante. Zur Einrichtung stellt ihr Tante ihre schönen Wohnzimmermöbel aus Kirschholz zur Verfügung. Alles was sie braucht, bekommt sie von den Leuten.
Mit Mama und Tante sind wir einige Male zu Besuch im Blockhaus. Auf mich wirkt das Haus wie ein Märchenschloss.
Die Susi ist ebenfalls ein zauberhaftes Wesen. Die wird mal bestimmt so hübsch wie ihre Mutter. Susi ist immer sooo schön angezogen und nie, wirklich nie, hat sie eine Schürze an. Ihre Röckchen sind immer kurz. Damit schaut sie fast wie eine Ballerina aus. Genau so will ich aussehen und dann tanzen!
Eines Tages erhält Frau Klabeck die erfreuliche Nachricht, dass ihre Schwiegermutter noch lebt. Wahrscheinlich kommt sie bald mit anderen Vertriebenen nach Lenting.
Diese gute Nachricht passt der jungen Frau überhaupt nicht. Nein, bei ihr im Blockhaus kann sie nicht unterkommen. Der Platz reicht gerade für sie und ihre Tochter. Außerdem kann sie die alte Frau nicht verpflegen. Auch in ihrer freien Lebensführung will sie sich nichts drein reden lassen. Die Rolle einer trauernden Witwe passt da nicht dazu.
Mama, die fremden Menschen gegenüber immer so zurückhaltend ist, erklärt sich nun bereit, die alte Frau vorübergehend aufzunehmen. Kurz darauf  heißt es, in Lenting sind neue Flüchtlinge angekommen. Die alte Frau Klabeck ist dabei und man bringt die alte Dame zur Mama.


Die alte Frau Klabeck

Von zwei Männer gestützt schafft die alte achtzigjährige Dame die Stufe beim Dengler ins Austragshäusl hinauf. Sie ist vollkommen erschöpft und kann sich kaum auf den Beinen halten. Sie trägt einen alten, dicken Mantel. Ihre sonstigen Habseligkeiten hat sie in einem kleinen Koffer.  Mama stellt ihr das eigene Bett zur Verfügung. Sie selbst schläft auf dem Sofa, das im kleinen Vorraum untergebracht ist.
Trotz aller Strapazen merkt man immer noch, dass Frau Klabeck mal eine selbstbewusste, attraktive Frau war. Ihr Haar ist vollkommen weiß, aber immer noch dicht und lockig. Sie hat schöne Zähne. Alle sind  noch ihre eigenen.
Frau Klabeck erzählt oft, dass sie mit ihrem Mann ein Hotel gehabt hat. Aber ihr Mann ist verstorben, ihr einziger Sohn ist gefallen und sie hat alles verloren. Alles! Nein, ihre Enkelin, die Susi, ist noch da, ihr Engelchen!
Trotz allem gewöhnt sich die alte Dame schnell ein und nimmt es hin, dass alle um sie rumhüpfen und sie mit den gegebenen Mitteln verwöhnen. Mama verzichtet auf alles, was für die alte Dame gut sein könnte. Sie heizt immer extra warm ein, denn ihren Mantel will Frau Klabeck  fast nie ausziehen.
Ihre Schwiegertochter kommt nur selten zu Besuch. Die zwei Frauen mögen sich nicht. Doch Susi besucht ihre Oma manchmal. Da leuchten die Augen auf und bekommen fast wieder einen jugendlichen Glanz.
Natürlich kann die alte Dame nicht immer bei uns bleiben. Mama drängt zwar nicht, aber sie rechnet, dass der Papa doch bald kommt, dann soll er sein Bett haben.
Auch die Schwiegertochter war nicht untätig. Sie kommt nach einigen Monaten mit der Mitteilung, dass sie für die Schwiegermutter einen Platz in einem Heim in der Nähe von München gefunden hat. Sie selbst hat auch vor, wenn es wieder möglich ist, in die Großstadt zu übersiedeln. Im dem Dorf ohne Kultur, ohne Theater, ohne Oper, ohne Konzerthalle  fühlt sie sich nicht wohl.
Kurze Zeit darauf wird die alte Dame abgeholt und in ihre neue Heimat gebracht. Der Abschied ist kurz und schmerzlos, ihr Dank ist knapp. Die Frage, ob sie für Kost und Wohnung etwas schuldig ist, kommt ihr Nicht. Das ist doch selbstverständlich, dass so was für sie gemacht wird. Das Ambiente im Austragshäusl hat ihr einfach nicht entsprochen.

Etwas später verlässt auch die junge Frau Klabeck das Blockhaus und das Dorf. Sie verabschiedet sich herzlich. Tantes Möbel lässt sie zurück. Tante soll sie abholen lassen. Als Tante die Möbel hernach anschaut, ist sie ganz niedergeschlagen. Alles ist beschädigt, abgewohnt und kaputt. Man kann die Sachen nur noch herschenken.
Mama hört davon; Tränen treten ihr in die Augen. Sie, die alles immer gepflegt hat, kann so was nicht verstehen. Die halbwüchsige Susi muss später mal für ihre Mutter in Lenting was erledigen und stattet uns einen Besuch ab.
Unbeschwert erzählt sie, dass ihre Mutter mit einem neuen Freund ein Hotel eröffnen will. Von ihrer Mutti wird sie immer zur Oma geschickt, damit die etwas von ihren "Steinen" an die Enkelin herausrückt.
"Welche Steine?". "Ja, die Oma hatte viele teure Steine und Perlen in ihren dicken Mantel eingenäht, mitgebracht. Sie ist noch immer eine reiche Frau. Wenn sie will, kann sie sogar mehrere Hotels kaufen."
Für Mama ist dies eine bittere Erfahrung. Im Nachhinein findet sie sich ausgenützt. Mama meint: "Undank ist der Weltenlohn"

 
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