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Jahreswechsel 44

Mia die Feder > g'lebt wird a

Das Jahr 1944

Der Jahreswechsel verläuft in Lenting  ruhig. Der Krieg wird zwar schlimmer, aber das nahe Ingolstadt bleibt bisher von Bombardierungen verschont. Die Menschen im Dorf werden immer mehr.  Es sind meist "Ausgebombte" und "Evakuierte". Dies zieht nach sich, dass die "Wohnungen" immer knapper werden. Es wird sogar ein  Kommissär eingesetzt, der bei der Suche und der Verteilung der Wohnungen ein wichtiges Wort mitzureden hat. Muttis Mann, Onkel Hans, ist ja meist nicht da, denn sein Dienstplatz ist offiziell München.


Mutti findet eine "Wohnung"

So ist es also Mutti, die den Kommissiär nervt, wenn sie ihm irgendwo laufen sieht. Mit drei Kindern braucht sie unbedingt eine Wohnung. Und wirklich, eines Tages teilt er ihr eine zu. Es ist das leer stehende Austragshäusl beim "Gockelbauer". Die "Wohnung" besteht aus zwei finsteren Räumen, einer kleinen Kammer, die eigentlich eine kleine Küche für die "Austragler" sein soll; außerdem ist noch eine kleinere Dachkammer dabei. Der Ausblick ist deprimierend. Vom Schlafzimmer fällt der Blick in den Gockelbauer Hof direkt auf den Misthaufen. Von der Wohnküche und der Dachkammer aus, sieht man ein kleines Stück vom Wunigarten. Im "Kammerl" ist nur ein kleines Fensterl mit Blick auf die Feuermauer. Die Sonne scheint nirgends herein.
Toilette gibt es nicht. Um das hölzerne Aborthäusl  zu erreichen, muss man denganzen Hof durchqueren, durch die Hintertür vom Rossstall in den hinteren Garten gehen und dort die Örtlichkeiten aufsuchen. Das ist natürlich nicht möglich. So wird das Kammerl mit einem Kübel ausgestattet, als Toilette benutzt. Natürlich stehen auch Nachthaferl zur Verfügung. Die Entleerung ist einfach, denn der Misthaufen ist gleich da. Auch Wasser gibt es nicht. Das muss man vom Hofbrunnen holen. Mutti hat noch Glück, denn sonst müsste sie es vom Gemeindebrunnen unterhalb vom "Hennamo" holen.

Auf alle Fälle ist so ein Austragshäusl bestens dazu geeignet, dass sich Altbauern gerne von dieser Welt verabschieden und dem Himmelreich den Vorzug geben. Das Ehepaar Schuderer ist dennoch glücklich, dieses Häusl mieten zu können. Doch da ergibt sich erst noch ein anderes Problem. In der Nacht taucht das Ungeziefer auf! Es gibt unzählige "Schwaben" und "Russen". Mit normalen Mitteln wird man dieser Plage nicht herr. Mit Karbiedbrennern wird das Häusl von oben bis unten bearbeitet und das einige Male. Endlich kann der Einzug erfolgen!


Im Herbst und Winter gibt es erneut ein Problem.

Bei Tiefdruckwetter zieht der Kamin nicht. Da kann man machen, was man will. Der Rauch verteilt sich im ganzen Häuschen, aber er zieht nicht ab; die Wohnküche, der einzig beheizbare Raum, bleibt kalt. Da bleibt nur die Flucht zur Mutter. Ausgefroren, hungernd, frierend, hustend und nach Rauch stinkend, trifft Mutti mit den Kindern dort ein. Man kann ja nicht alles Schöne haben!


Wir Kinder

Sonst ist alles so einigermaßen in Ordnung. Wir Kinder wachsen heran. Ich, (Mama meint: "Der Esel nennt sich immer zuerst.) blass, farblos mit grauen Äuglein, die immer entzündet sind und bei Sonnenschein blinzeln. Ich bin und bleibe "dotschert" Beate, lebendig, lieb und leichtfüßig. Sie ist "danschig".
Robert ist zwar auch immer etwas blass und hat Würmer. Aber sonst ist er ein kleiner Strahlemann. Er ist Muttis Liebling, der auch etwas verzogen ist. Manchmal schikaniert er die Familie mit seinem Jähzorn. Aber zu weit darf er nicht gehen, denn Mutti kann auch mal schnell zornig werden. Da greift sie dann schon mal zum Kochlöffel und wehe, wehe dem Kind, das sich in ihrer Nähe befindet. Aber mich schlägt sie nie.
Mutti scherzt und spielt auch gerne mit ihren Buben. Sie kitzelt, macht "Goasfleich"  "Hoppa, hoppa Reiter..", was ihr gerade einfällt, um die Buben zum Lachen zu bringen. Mit mir scherzt sie nie! Aber ich will doch auch  mit meiner Mutti oder Mama scherzen, lustig sein und lachen.

Bei meiner fast immer ernsten Mama kann ich das nicht erwarten. Mutti denkt einfach nicht daran, mich mal in den Arm zu nehmen, um mal Spaß mit mir zu machen oder mir Kuscheleinheiten zu spendieren! Aber gerade das will ich! Aber ich bekomm dies von niemand! Wenn ich zur Essenszeit bei Mutti auftauche, bekomme ich natürlich etwas und auch so viel ich will. Bei ihr gibt es wenigstens öfter mal Milchreis, den ich so gerne mag. Bei Mama hat dafür die Reissuppe den Vorrang. Im Gegensatz zu Milchreis hasse ich Reissuppe. Diese kratzt mich im Hals, es hebt mich. Aber natürlich muss die Suppe gegessen werden. Bei Gelberübengemüse ergeht es mir gleich.

Auch  Ludwig, der Jüngste, wächst heran. Er hat große Ähnlichkeit mit seinem Vater, außer dass er einen runden Kopf hat. Daher wird  er "Gschwoitl" genannt. Er  ist brav, aber er will das Reden und Laufen nicht lernen. Dazu hat er keine Lust. Was mir besonders gefällt, er hat gelbrote Haare! Jetzt bin ich wenigstens nicht mehr allein! Nein, wegen meiner roten Haare und den Sommersprossen leide ich nicht, wenigstens bis jetzt nicht.

Niemand lacht mich aus, auch nicht im Kindergarten. Ich falle einfach niemanden auf. Ich werde nicht beachtet, man sieht mich nicht.

Halbwüchsige Buben bauen auf der kleinen Wiese neben dem Bach aus Weidenruten runde Weidenhütten. Sie verjagen alle kleineren Kinder. Ich gehe jedoch nach Belieben ein und aus. Keiner sagt was, keiner beachtet mich, keiner sieht mich. So ist es überall. Nur zwei halbwüchsige Burschen in Lenting nehmen mich wahr, wenn ich alleine oder mit Beate und Robert an ihnen vorbei gehe. Sie sind der Kinderschreck des Dorfes, nämlich der Hollerbauer Klaus und der Westermeier Steff.
Wenn sie ein Kind sehen, machen sie Anstalten, auf das Kind loszulaufen und drohen: "Wenn ich dich erwische, schiebe ich dich in die Roßwampe!" Wenn wir dann mit Angstgeschrei davon stoben, lachen sie sich halb kaputt. Voriges Jahr hat der Hausherr Fronturlaub und dieses Jahr haben die Weichenrieders noch ein Baby und zwar einen kleinen Ludwig.
Doch, die Weichenrieder Mädchen sind immer nett zu mir; sie lassen mich "mitkommen". Sie nehmen mich mit, um Moos für das Osternest zu zupfen. Auch Millischockn für Hasenfutter holen wir gemeinsam. Feldsalat finden wir auf dem Acker gleich hinter dem Götzenberger Haus. Sie leihen mir sogar ein kleines, altes Taschenmesser, damit ich die kleinen Pflanzerl schön  abschneiden kann.

Mama freut sich natürlich, wenn ich so fleißig bin. Im Sommer sitzen die Mädchen oft spielend auf den kühlen Hausstaffeln.  Der Adolf, der so alt wie ich ist, ist selten dabei. Die Buben sind Mutters Lieblinge und meist mit  ihr zusammen. Der kleine Ludwig schläft viel in  seinem Stubenwagen.
Wenn ich von "oben" runter komme, gehöre ich gleich zum Reigen der Mädchen. Von allen Sachen, die sie aus dem Garten haben, bekomme ich immer was ab. Da gibt es Rhabarber, Kohlrabi, Tomaten, frische gelbe Rüben, Vicken, Bräschdleng (Erdbeeren), und Radieschen. So ganz frisch geerntet, gleich am Brunnen gewaschen und verzehrt, das ist wirklich ein Genuss. Vicken schmecken mir nicht so besonders, süße Erbsen kenne ich nicht. Mama hat immer nur solche, die man erst über Nacht ins Wasser legen und dann die Hülsen entfernen muss.
Manchmal bringen die Mädchen von Bauern aus der Nachbarschaft "Maispuppen". Mit denen kann man erst schön spielen, dann hat man noch die Körner zum Abfieseln.  

Die Mädchen lernen mir auch "Strick-und Häuslhüpfen". Auch bei der Aufklärung" sind sie beteiligt. Wenn eine Kuh eine recht dicke Wampe hat, dann hat sie nicht zu viel gefressen, sondern die hat "a kloans Kaiberl"  im Bauch, verkünden sie wissend. Bei Frauen ist das auch so. Nein, der Storch bringt die Babys nicht, sondern die kommen aus dem Bauch der Mutter. Das werde ich mir aber merken, wenn Mama wieder ihre Geschichte vom Storch erzählt.

Dann bekommen die Weichenrieders ganz kleine "Ziewerl". Wir Kinder sitzen um die Schachtel, in der sie sind und freuen uns an den kleinen gelben Flaumbällchen und deren Gezwitscher. Frau Weichenrieder schneidet Brennnessel zu, mischt sie mit gekochten, klein geschnittenen Eiern, damit die kleinen Flaumbällchen schnell große Tiere werden.

An heißen Sommertagen steht eine mit Wasser gefüllte Zinkwanne im Hof in der Sonne. Da haben wir die Erfrischung. Zwischendurch fahren wir den kleinen Ludwig im Hof und auch auf der Straße hin und her. Erna erzählt eines Tages, dass gleich auf dem Acker hinter dem Gänsberg gestern ein Flieger abgestürzt und ausgebrannt ist. Sofort machen wir uns auf den Weg, denn das ist nicht weit weg.
Wirklich, auf dem Acker liegen die Überreste eines Fliegers. Ein Flügel  steckt tief in der Erde. Es schaut aus, als ob ein alter, kranker, schwarzer Vogel mit gebrochenem Flügel daliegen würde. Der Pilot hat den Leuten nach, den Absturz nicht überlebt. Langweile kennen wir also nie.

Wir laufen fast immer barfuss. Nur die Fanny macht vorübergehend eine "Aussteigerin". Sie hat Holzklapperl bekommen. Das Geklapper gefällt ihr und auch mir. Ich bin neidisch! Mir würden so laute Klapperl auch Freude machen! Aber als der Reiz des Neuen vorbei ist, kehrt die Fanny wieder in die Gruppe der "Barfüssler" zurück. Es ist ja auch ein schönes Gefühl, mit der Erde, dem  Staub, dem Moos, dem Gras der Wiese und dem Wasser  direkt im spürbaren Kontakt zu sein. Auch nach einem Regenschauer im warmen Batz herum  zu treten, macht Spaß. So richtig  in die Lettn (lehmige Pfütze) reinpatschen, dass es nur so spritzt! Doch, da muss ich wieder vorsichtig sein, dass ich mich dabei nicht dreckig mache, denn sonst scheppert es bei der Mama.

Mama erlaubt mir immer, zu den Kindern zu gehen, aber in unsere Wohnung darf ich niemanden mitbringen. Das würde der Mama gerade noch abgehen! Die saubere Wohnung von fremden Kindern schmutzig machen zu lassen! Es reicht der Mama schon, wenn die "Unseren" Dreck herein tragen. Ich kann mich wirklich nicht daran erinnern, irgendwann in "unserer" d.h. in Mamas Wohnung fremde Kinder gesehen zu haben. Mama erzieht mich sowieso zu übertriebener Vorsicht.
"Steig da nicht hinauf!" "Fall da nicht runter!" "Schneid dich nicht!" "Rutsch nicht aus!"  "Lang das nicht an!" "Geh langsam!" "Fall nicht hin!" "Geh da nicht hin!" "Gib obacht!"

Ihre Übervorsicht macht aus mir ein überängstliches Kind, dass überall Gefahren sieht. Mutti und Tante sind  da ganz anders. Beate darf hüpfen und laufen wie sie will. Selbst als sie beim Weichenrieder die Treppe runter fliegt, weil sie, wie Mama meint, mal wieder recht "ruaschert" war und sich dabei das Schlüsselbein bricht, nimmt Tante es mit etwas mehr Gelassenheit hin, als Mama. Für Mama ist dieses Ereignis natürlich ein Grund, sich in ihren Vorsichtsmaßnahmen und Mahnungen bestätigt zu fühlen. Sie gängelt mich noch mehr damit. Die Kinderzeit ist doch recht schön!

 
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