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Thea in Heidelberg

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Thea in Heidelberg

Schnell ist der Koffer gepackt, Fritz bringt Thea zum Hauptbahnhof. Sie trägt ein leichtes Reisekostüm und ein dazu passendes Hütchen.
Fritz streift sie mit einem stolzen Blick. Er besorgt für Thea die Fahrkarte und für sich eine Bahnsteigkarte, damit er sie zum Zug bringen kann. Vor der Sperre drängen sich die Menschen. Es ist einiges los. Viele Menschen sind auf Reisen, denn die Eisenbahn ist zu dieser Zeit das Hauptverkehrsmittel.

Der Zug fährt endlich ein. Als die meisten Ankommenden diesen verlassen haben, stürmt Fritz sofort  hinein, um für sie einen Sitzplatz am Fenster zu ergattern. Er verstaut ihren Koffer im Gepäcknetz und drückt ihr noch ein Päckchen mit Süßigkeiten in die Hand. Nun sitzt Thea im Zug. Endlich sind alle Reisenden eingestiegen. Der Schaffner pfeift zur Abfahrt. Sie lässt das Fenster herunter und verabschiedet sich nochmals.

"Liebes, ich komme schnell zu dir, ich werde Urlaub bekommen, ich liebe dich!"

Der Zug setzt sich langsam in Bewegung. Sie winkt zu ihm hinaus, bis er nur noch ein kleiner Punkt am Bahnsteig ist. Thea lässt sich auf den Sitz fallen. Sie atmet, eigentlich durchaus zufrieden, tief durch. Warum soll sie es nicht sein? Sie weiß, dass sie bei ihrer Schwiegermutter in spe wohnen und in Ruhe ihr Kind austragen kann. Auch wenn der Herbst schon kühle Tage bringt, will sie jeden Tag etwas spazieren gehen. Auch das Kind in ihrem Bauch hüpft plötzlich munter hin und her,  als würde es sich über die Reise freuen.

Ab und zu wirft Thea einen Blick aus dem Fenster,  nimmt aber die wunderschöne Herbstlandschaft, durch die der Zug rattert,  nicht richtig wahr. Sie träumt vor sich hin; sie stellt sich ihre Zukunft vor. Anfangs März wird das Kind kommen.  Fritz und ich werden heiraten, uns eine kleine, gemütliche Wohnung einrichten, sogar mit einem schönen Wohnzimmer.
Natürlich werden wir auch ein Bad mit einem Badeofen haben, sowie eine Toilette mit Spülung. Fritz wird Berufssoldat  bei den Fliegern sein, vielleicht Kellner, wie sein Vater, der gute Beziehungen hat, oder aber im Büro arbeiten. Wenn das Kind mal in den Kindergarten geht, dann werde ich Serviererin machen oder an der Theke sein. Es geht uns bestimmt gut! Ich weiß das!
Außerdem hat ihr Fritz viel von seiner schönen Heimatstadt am Neckar vorgeschwärmt.

Es wird ihr hier bestimmt gut gefallen.

Die Stunden gehen dahin, an den Bahnhöfen ist immer etwas los. Leute steigen aus und ein, mit manchen wechselt sie ein paar Worte. Der freundliche Schaffner geht nochmals durch und meint: "Beim nächsten Halt müssen Sie aussteigen." Die Dämmerung bricht bereits herein, als der Zug endlich im Zielbahnhof  einfährt. Die Mitreisenden heben schon Koffer und Gepäckstücke aus den Netzen und gehen in Richtung Türe, während der Zug immer langsamer wird und schließlich zum Stehen kommt.

Die Türen werden aufgerissen, jeder will zuerst draußen sein. Thea erhebt sich langsam. Ein bisschen mulmig ist ihr doch zu Mute.
"Es wird schon alles gut werden." denkt sie. Die Mutter von Fritz oder einer seiner Brüder werden sie bestimmt abholen. Sie steigt mit den letzten Reisenden aus, denn sie muss sich sowieso umschauen. Das Gedränge am Bahnsteig ist noch ziemlich groß. Manche der Ankommenden wollen den Bahnhof schnell verlassen, andere werden begrüßt und fallen sich lachend in die Arme. Gepäckträger wieseln geschäftig hin und her.

Thea stellt den Koffer neben sich und sucht jemanden, der sie abholen wird, aber niemand bewegt sich auf sie zu. Langsam leert sich der Bahnsteig. Am Schluss steht sie alleine da.
Niemand holt sie ab.
Das geht ja schon gut an!
Sie überlegt, was sie nun machen soll. Fritz hat ihr zwar die Adresse aufgeschrieben, aber es wäre doch schön, wenn jemand aus seiner Familie sie mit einigen freundlichen Worten begrüßen würde.
Sie verlässt den Bahnsteig und begibt sich in das Bahnhofsgebäude. Auch hier sieht sie niemanden, der sie erwarten könnte. "Vielleicht kommt doch noch einer. Es kann doch sein, dass Fritz  die Ankunftszeiten falsch durchgegeben hat. Ich warte einfach noch ein wenig."

Sie strebt dem Wartesaal II. Klasse zu und lässt sich in diesem dunklen, unfreundlichem Saal auf einer der Holzbänke nieder. Der Raum ist voller Mief, der geölte Holzboden strömt einen unangenehmen Geruch aus.

Die Wartenden dösen vor sich hin. Die Zeiger der Bahnhofsuhr rücken langsam aber stetig vor und weisen darauf hin, dass die Zeit verrinnt. Ein junger, etwas heruntergekommener Mann beobachtet sie und will ein Gespräch mit ihr anfangen. "Schöne Maid, wo wollen sie denn hinfahren?"
"Ich werde gleich abgeholt."  Damit ist das Gespräch für sie beendet.
Inzwischen ist es draußen ziemlich dunkel geworden. Thea ist sich nun sicher, dass sie hier niemanden mehr erwarten braucht und erkundigt sich, wie sie mit der Straßenbahn ihr Ziel erreichen wird. Gerade als sie zur Straßenbahnhaltestelle kommt, fährt die blau-weiße Trambahn  mit lautem Gebimmel ein.

Thea hebt das Gitter, steigt ein und löst bei der Schaffnerin eine Fahrkarte. Als sie am Ziel ankommt, ist es schon ganz dunkel. Der Schaffner sagt ihr, dass sie noch einige Straßen gehen muss, bis sie  zu der Industriestraße im Pfaffengrund, direkt beim Gaswerk kommt. Es sind verhältnismäßig neue Siedlungshäuser, aber im schwachem Lichtkegel der Straßenlampen wirkt alles ein wenig gespenstisch. Doch Thea schreitet mutig aus, bis sie endlich ihr Ziel erreicht.

Sie findet  die gesuchte Hausnummer und liest auch den Namen "Fuchs".
Gott sei Dank! Endlich am Ziel!
Sie läutet.
Zuerst ist es noch ruhig, doch dann hört sie drinnen ein unmutiges Gemurmel. Ein Riegel wird zurück geschoben und die Türe öffnet sich. Eine nicht mehr ganz junge Frau, bestimmt die Mutter von Fritz, steht, mit einer Zigarette in den Fingern, im Türrahmen.
Die Frau schaut eigentlich nicht schlecht  aus, aber ist etwas ungepflegt.
"Da bist du ja endlich. Ich habe schon gedacht, du kommst nicht mehr."
Mit gehemmter Stimme bringt Thea nur ein "Grüß Gott" heraus.
Die Frau erwidert den Gruß nicht.
Mit den Koffer in der Hand drückt sich Thea an ihr vorbei und bleibt im Flur stehen.
"Zieh doch  die Jacke aus oder willst du gleich wieder weg?"
Sie geht ins Wohnzimmer voraus. Nachdem Thea Jacke Hut abgelegt hat, folgt sie dorthin. Das Zimmer ist groß, die Möbel schwer und dunkel, aber insgesamt wirkt alles schlampig. Eine Stehlampe verbreitet ihr Licht und versteckt alle sonstige Mängel. Ein halb volles
Weinglas und ein voller Aschenbecher stehen auf den Tisch, dicker Zigarettenrauch hängt im Raum. Frische Luft wäre dringend notwendig.

Nun fragt Thea  nach dem Bad, damit sie sich ein wenig frisch machen kann. Das Bad ist geräumig, aber in der Badewanne liegt lauter eingeweichte, ungewaschene Wäsche. Diese dümpelt dem Geruch nach zu urteilen, bestimmt schon einige Tage im Wasser.
Thea kehrt ins Wohnzimmer zurück.
"Du kannst vorerst im Zimmer das Bett von Fritz nehmen", meint die "Füchsin". (Ein anderer Name fällt Thea für diese Frau nicht ein.) und redet ohne Zusammenhang weiter.:

"Na, da hat es dir aber pressiert, dir ein Kind anhängen zu lassen. Mein armer Junge! Wie kann man sich das Leben von einer Frau nur so kaputt machen lassen! Ist er auch wirklich der Vater?"
Thea unterdrückt eine bissige Äußerung und antwortet  nicht. Was soll sie darauf auch erwidern?
Die Füchsin geht in die Küche, man hört sie hantieren. Dann kommt sie mit einigen Leberwurstbroten und lauwarmen Kaffee zurück.
Mit Widerwillen würgt Thea etwas hinunter.
"Wenn du schon da bist, musst du mir schon helfen, denn alleine schaffe ich den Haushalt nicht. Wir haben jetzt kein Hausmädchen mehr. Nach einem Unfall ist mein Mann schon längere Zeit im Krankenhaus und da fehlt sein Verdienst."
Thea bedauert es, dass der Vater von Fritz, den sie als angenehmen Mann kennen gelernt hat, nicht da ist und in der nächsten Zeit auch nicht kommen wird.

"Ich werde helfen, was ich kann", meint Thea trotz ihrer Enttäuschung  zuversichtlich.
"Hast du wenigstens Geld dabei?" fragt die Füchsin unverblümt weiter. "Ich kann dich hier nicht kostenlos aufnehmen. Die Zeiten sind schlecht. Was die drei Jungs abgeben, ist auch nicht viel. Da muss ich eben schauen, wie ich durchkomme."
"Da solltest du weniger rauchen und weniger Kaffee trinken", will Thea antworten, aber sie unterdrückt eine Erwiderung.
Sie spürt die erste Enttäuschung und Verbitterung in ihr hochkochen."Das kann ja lustig werden!" Aber nun will sie erstmal ins Bett und alles überschlafen.

Sie holt ihre Geldbörse und legt einen Teil des Inhalts auf den Tisch. "Reich werde ich aber davon nicht."Im Laufe des Abends treffen auch die drei Brüder von Fritz ein, die alle noch zum Haushalt gehören. Es sind eigentlich nette junge Männer, die sie neugierig mustern.
"Kannst du mir zeigen, wo ich schlafen kann? Ich bin seit den frühen Morgenstunden
unterwegs. Nun bin ich ganz kaputt."
Thea fällt ins Bett. Sie kann nicht mehr lange nachdenken, denn die Müdigkeit übermannt
sie, die Augen fallen ihr zu.
Am nächsten Morgen wird sie von der Füchsin beizeiten geweckt.
"Du kannst hier nicht den ganzen Tag verschlafen," meint sie bissig. In den nächsten Wochen setzt Thea all ihre Kraft ein, um den verschlampten Fuchs-Bau  in Ordnung zu bringen, während die Füchsin auf dem Sofa sitzt, raucht, Kaffee oder Wein trinkt, über ihre Schmerzen oder die fehlenden Finanzen jammert.
Außerdem will sie ewig Geld und wartet immer mit offener Hand, bis Thea nach und nach alle ihre Ersparnisse abgeliefert hat.
Sie ist am Verzweifeln. In ein paar Monaten kommt ihr Kind. Sie hat nicht mal die notwendigste  Ausstattung an Windeln und an Babywäsche. Wenn sie die Füchsin darauf aufmerksam macht, meint diese : "Schreib doch an deine Mutter, die kann dir doch Geld
schicken."
Von Fritz hört sie nicht viel. Sie erhält nur einige belanglose Briefe, in denen er das bevorstehende "freudige Ereignis" nicht mal erwähnt.
Er meint, er bekommt jetzt keinen Urlaub Außerdem fehle ihm die Zeit um viel zu schreiben. "Die militärischen Übungen der Wehrmacht nehmen zu;  werden immer härter. Hitler ist am Ruder und will, dass Deutschland eine Großmacht wird, "  schreibt er.
Als die Füchsin wieder nach Geld fragt, hat Thea endgültig die Nase voll.

Hier in dieser Wohnung will sie ihr Kind nicht bekommen. Sie kennt keine Hebamme. Sie hat zu niemanden Vertrauen. Die Brüder von Fritz sind zwar nett und freundlich, aber solche Themen kann sie mit ihnen auch nicht besprechen. Die Füchsin fragt nie, wie es ihr geht oder ob mit dem Kind alles in Ordnung ist. Dieses Kind ist doch ihr Enkel und hat auch von ihr "Erbgut" Vielleicht schaut es ihr sogar gleich.
Nein, Gott bewahre das Kind davor. Von dieser Sippe will sie nichts wissen. Von der hat sie die Nase voll, sie will weg. Sie beschließt,  am kommenden Tag einfach in die Stadt zu gehen, um sich nach Möglichkeiten umzusehen.

Die Frauenklinik

Am nächsten  Tag steht Thea frühzeitig auf und macht sich voller Zuversicht auf den Weg. Die Füchsin meckert zwar, denn sie will, dass Thea vor dem Weggehen die Wohnung sauber macht, aber Thea ist fest  entschlossen, irgendwie  eine Änderung herbeizuführen. Sie nimmt ihre Handtasche, geht, nichts und niemand kann sie aufhalten.

Zielstrebig marschiert sie auf das fünf Kilometer entfernte Zentrum zu. Heidelberg gefällt ihr. Besonders jetzt in der gerade beginnenden Adventszeit strahlt die Stadt einen besonderen Liebreiz aus.
Gott sei Dank liegt kein Schnee, denn sie hat nur Stoffschuhe, die ihr die  Mutter gemacht hat. Thea schaut sich um. Die Leute eilen und hasten. Niemand scheint Zeit zu haben. Im zackigen Gleichschritt marschieren Soldaten vorüber. Thea bleibt am Straßenrand stehen bis der Zug vorbei ist, mit ihren Gedanken ist sie ganz intensiv bei ihrem Fritz.

Ach, wenn der endlich mal kommen könnte, dann wäre vieles einfacher. Aber sie will keine Wehmut aufkommen lassen. Sie mustert einige Frauen, die unterwegs sind. Als sie eine sieht, die auf  sie einen netten Eindruck macht, fragt sie einfach: "Entschuldigen Sie, wie komme ich denn zur Frauenklinik?"  ie Angesprochene hält im Schritt inne, denkt kurz nach und weist ihr dann freundlich den
Weg in die Voss-Strasse 9.
Noch weiß Thea nicht, was sie da vorbringen soll, aber irgendetwas muss sie tun, denn so kann es nicht weitergehen. Sie kann doch nicht ohne einen Pfennig Geld bei der alten Hexe da draußen im Pfaffengrund sitzen bleiben. Die holt ihr vielleicht nicht mal eine Hebamme, wenn das Kind kommt und will vielleicht sogar, dass sie und das Kind  sterben. Na, da kann die alte Hexe lange warten.

Durch eine große Eingangstür  betritt Thea das Gebäude und schaut sich um und geht zur "Aufnahme" Eine Frau im weißen Kittel sitzt hinter einer Scheibe am Schreibtisch. Es dauert eine Weile bis sie den Kopf hebt: "Bitte ?" Thea weiß nicht so recht, wo sie anfangen soll.
"Anfangs März bekomme ich ein Kind. Ich brauche einen Platz, wo ich es zur Welt bringen kann."
"Haben Sie einen Termin?"
"Nein, ich bin erst kurze Zeit hier. Ich habe kein Geld, keine Arbeit und auch keine eigene Wohnung."
"Ja, da weiß ich auch nicht recht, was ich mit Ihnen anfangen soll. Gehen Sie doch mal in das Wartezimmer. Ich schicke dann jemanden vorbei. Wie ist denn ihr Name?"
"Thea Escher." Sie bedankt sich freudig. Nun ja, wenigstens ist sie nicht gleich rausgeflogen.
Auch das Kind im Bauch strampelt  mit den Beinchen, als ob es ihr Mut machen will.  Die letzten Wochen hat das Baby im Bauch bestimmt unter der schlechten Behandlung, die der Mutter durch die Füchsin widerfahren ist, gelitten.
Das Baby will gar nicht wachsen. Es hat sich dauernd in den letzten Winkel der Bauchhöhle zurückgezogen. Am liebsten will es sich "ungeschehen" machen, denn niemand freut sich über seine Anwesenheit und schon gar nicht über sein Kommen.

Thea lässt sich auf einen der Stühle im Wartezimmer fallen. Es sind schon mehrere Frauen da, die meisten sichtbar schwanger.
Sie unterhalten sich untereinander, reden über die Zeiten, natürlich auch über den glorreichen Führer, der jetzt in Deutschland alles  zum Guten bringen wird. Für den wollen sie alle gerne "arische" Kinder zur Welt bringen wollen.
Es dauert lange Zeit, bis endlich eine Schwester kommt "Fräulein Escher?"
Thea wird in ein Sprechzimmer geführt, dort soll sie warten, bis der Doktor kommt. Es dauert auch nicht lange, ein großer, blonder Arzt, der sie durch seine Nickelbrille freundlich anschaut, betritt den Raum. Nachdem Thea ihr Anliegen erklärt hat, wird sie von ihm untersucht. "Bei ihnen ist alles in bester Ordnung. Was wünschen Sie sich denn?"
"Einen Sohn natürlich."

Das Baby im Bauch schrickt zusammen. Da wird die Mutter aber ein dummes Gesicht machen, wenn ein Mädchen ankommt.
Der Arzt meint noch: "Natürlich können sie hier ihr Kind bekommen, denn unser Führer will das ja auch. Aber wegen einer Arbeit oder einer Unterkunft kann ich ihnen nicht helfen. Aber wissen  Sie was, gehen sie doch mal in die Verwaltung runter zu der Frau Wolf, vielleicht weiß die irgendetwas. Sagen Sie ihr, dass ich Sie geschickt habe."

Kurz darauf betritt Thea die Verwaltung und trägt  nun auch der Frau Wolf ihr Anliegen vor. Von der wird sie von oben bis unten prüfend angeschaut. Doch ihr Blick ist wohlwollend. "Hm, na ja, was haben sie denn gearbeitet?"
"Hausmädchen und Serviererin"
"Da kommen Sie mir eigentlich wie gerufen. Eine der Hilfskräfte auf einer Station ist ausgefallen. Da kann ich schon jemanden brauchen, der da einspringt. Frau Wolf erklärt ihr, welche Arbeiten Thea zu erledigen hätte. "Sie bekommen hier außer Ihrem Lohn und Essen auch Logie. Natürlich können wir Sie nur hier behalten, so lange Sie ihre Arbeit verrichten. Nach der Entbindung, gibt es keine Möglichkeit, dass Sie hier bleiben, denn für Dienstmädchen mit Kind haben wir keinen Platz.
Aber wir werden sehen, vielleicht ergibt sich  dann  irgendeine andere Möglichkeit.Also fangen Sie morgen pünktlich um 7:00 h an."
Thea bedankt sich herzlich und macht sich schnell auf den Heimweg. Sie fühlt sich wie auf einer rosaroten Wolke.

Mürrisch schaut ihr die Füchsin entgegen. "Und wie?"
"Ich fange morgen in der Frauenklinik als Stationshilfe an."
Irgendwie passt dies der Alten auch nicht. "Was? In deinem Zustand wollen die dich noch beschäftigen. Ist schon gut, ich habe dann
die Verantwortung los. Von deinem Verdienst kannst du mir unter die Arme greifen. Du hast dort alles und brauchst kein Geld."
Thea gibt keine Antwort. Warum soll sie sich mit der alten Hexe noch auseinander setzen?  Sie packt ihre wenigen Habseligkeiten zusammen, stellt den Wecker und schläft sofort ein. Am nächsten Morgen ist sie schnell fertig und macht sich auf den Weg. Sie erwischt sogar noch die frühe Straßenbahn. Bereits um halbsieben Uhr meldet sie sich zum Dienst.

Die Arbeit ist nicht allzu schwer. Thea ist mit Begeisterung dabei, ihre Pflichten zu erfüllen. Was ihr noch Sorgen macht, ist der Gedanke, was nach der Entbindung sein soll. Doch sie ist jung und denkt, "unser Herrgott wird schon helfen. Auf keinen Fall gehe ich zur Füchsin zurück. Lieber lebe ich mit dem Kind unter einer Brücke."  

Am ersten Abend schreibt sie noch schnell an ihre Mutter, ihre  Schwester, an Fritz und gibt  ihnen ihre neue Anschrift bekannt.
Einige Tage später bekommt sie einen Brief von Mutter und Maria.
Sie berichten Neuigkeiten. Hans ist zurzeit ganz handzahm. Das Militär hat ihm die Wohnung im Wallmeisterhaus gekündigt.
Schön, wenn man jetzt das Haus in der Nürnberger Straße noch hätte.
Die Mutter und Hans haben an der Hauptstraße bei den Weichenrieders im ersten Stock unter dem Dach eine kleine Zweizimmerwohnung  gefunden.
Maria hat für sich sogar ein kleines Haus mit Garten am Dorfende beim der Friedrich zur Miete bekommen. Direkt hinter dem Haus ist der Steinbruch mit dem Schießstand.
Bei der Maria können jetzt wenigstens Mamas schöne Wohnzimmermöbel aus  Kirschbaumholz untergebracht werden.
So ist mal wieder alles einigermaßen in Ordnung.

Der Dezember 1938 und auch der Januar 1939 vergehen. Thea verbringt die Feiertage in der Klinik.
Fritz kann nicht kommen. Sie verwendet nicht mehr so viele Gedanken an ihm. Sie ist nun schon schwerfälliger, aber der Dienst  macht ihr nichts aus, sie hat sich gut eingelebt.
Nur am Zahltag erscheint dann unerwartet die Füchsin." Du hast deinen Lohn bestimmt schon bekommen. Ich brauch Geld."
"Ich muss doch Sachen für das Kind kaufen."
"Hier bist du doch direkt an der Quelle. Die geben dir schon, was du brauchst. Oder soll ich dem Fritz schreiben, dass du seine Mutter in ihrer Not allein gelassen hast?"
Thea wird wütend "schreib ihm, was du willst."
Sie holt dann aber doch  einen Teil ihres Lohnes und gibt diesen der Füchsin. "
Geh jetzt, ich muss arbeiten und komm nie wieder hier her."

Frau Haller

Thea betreut die Frauen auf einer Station. Sie bringt Essen, macht Tee, schüttelt die Betten auf und kümmert sich um die kleinen Wünsche der Frauen. In einem Zimmer ist eine neue Patientin, eine junge Dame, die sehr nett  und freundlich ist. Sie wurde hier vor einem Jahr von ihrer kleinen Tochter Annette entbunden. Nun ist sie für einige Tage zu einer Nachuntersuchung hier.
Frau Haller, so heißt die nette Frau, wundert sich, dass eine hochschwangere Frau noch arbeiten muss, sie spricht Thea darauf an. So erfährt von ihrem Schicksal.
"Wissen Sie was, ich suche ein Haus- und Kindermädchen. Sie sind mir sehr sympathisch. Wenn Sie wollen, können Sie die Stelle haben. Wohnen können Sie sofort bei uns.  Sobald sie hier ihren Dienst quittieren können, fangen Sie bei uns an. Kommen Sie einfach mal  vorbei. Unsere Adresse ist Hans Haller in der Wilhelmstraße 3. Das ist nicht weit von hier."

Über diese Fügung ist Thea sehr glücklich. Schon am Wochenende sucht sie Frau Haller auf. Sie wird liebevoll aufgenommen und sie werden sich schnell einig. Die kleine Annette ist ein süßes Kind,  mit braunen Locken und großen Kulleraugen. Für dieses Kind wird sie
gerne Kindermädchen sein.
Am Montag wendet sich Thea gleich am Vormittag an Frau Wolf.
Diese bedauert es zwar, denn Thea ist eine Kraft, die man nicht so leicht ersetzen kann. Sie hatte  sich auch schon überlegt, wie sie die Beschäftigung nach der Entbindung trotz dem Kind fortsetzen könnte. Aber unter den gegebenen Umständen ist sie damit
einverstanden, dass Thea in zwei Wochen also Ende Februar den Dienst beendet. "Bei der Entbindung werde ich Sie wieder sehen."
Der Umzug ins Haller-Haus ist schnell abgeschlossen. Ein schönes, helles Zimmer, in dem auch für das Kind Platz ist, wird ihr zur Verfügung gestellt.
Außerdem ist von Annette alles für das Baby da, vom Stuben- bis Kinderwagen, beste Babyausstattung, einfach alles! Die Zeit vergeht schnell und Thea wartet jetzt auch schon ungeduldig darauf, ihr Kind auf die Welt zu bringen.

 
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