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Die Ohrringerl

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Die Ohrringerl

Was der Mama sonst noch Sorgen macht, sind meine ewig entzündeten Augen und das immer wieder kommende schmerzhafte Gerstenkorn. Doch, dann "erbe" ich ganz unerwartet und wahrscheinlich das einzige Mal in meinem Leben. Tante Rose (nicht Rosa), hat ein kleines Mädchen, die Christl. Leider
stirbt dieses Kind; ich erbe kleine, goldene Ohrringe. Goldene Ohrringe sollen gegen Entzündungen an den Augen helfen. Aber dafür muss ich mir Löcher für die Ohrringe stechen lassen.

Tante Rose kommt nach Lenting und holt mich ab. Mama zieht  mir extra mein schönes weißes Kleidchen an. Stolz mache ich mich mit Tante Rose auf den Weg nach Ingolstadt. Wir kommen gut beim "Uhrmacher" an.
Der holt eine Zange und lockt mich mit "das tut überhaupt nicht weh" auf einen Stuhl.
Er setzt die Zange an meinem rechten Ohr an und "zwickt".
Nein, es tut nicht sehr weh, aber es blutet, und das wie! Das Blut tropft dick auf die Schulter meines schönen Kleidchen herab. Es bildet für meine Begriffe große, rote Flecken. Als ich die Blutflecken sehe, ist es bei mir aus. Ich schreie, rutsche vom Stuhl herunter. Der Stecher und Tante Rosi wollen mich beruhigen und mich dazu überreden, auch ein Loch in das linke Ohr stechen zu lassen. Nein, nein, nein!!! Ich will kein Loch im anderen Ohr und ich will keine Ohrringe, auch wenn diese aus ganz echtem Gold sind. Ich will heim und laufe zur Tür.
Doch meine unbarmherzigen Peiniger holen mich ein! Ich werde mit Gewalt auf den Stuhl gesetzt, Tante Rose hält mich mit beiden Armen umschlossen; der Meister macht sich an die Vollendung seines Werkes. Ich schmeiße meinen Kopf hin und her, aber trotzdem gelingt es ihm, mein Ohr zu fassen und dort ein Loch für das zweite Ohrringl zu hinterlassen, wenn auch nicht genau an den vorgesehenen Platz. Wenigstens blutet das zweite Ohr nicht. Nachdem ich mich beruhigt habe, machen wir uns auf dem Heimweg, ich mit meinen goldenen Ohrringerl in den Ohren.

Es soll also nun eine baldige Besserung in meinen entzündeten Augen spürbar werden. Aber das Gegenteil kommt! Meine Ohren entzünden sich und eitern. Anstatt gesunden Augen, habe ich mir noch etwas aufgehalst!
Es dauert Wochen, bis alles abheilt und sich auch nach und nach eine Besserung meiner Ohren und Augen einstellt.Wer sagt es denn! Man muss nur Geduld haben!


Die Kriegsjahre, die Mütter und das Leben im Dorf

In der Bevölkerung ist überall Hektik und Angst spürbar! Niemand weiß, was die nächste Zukunft bringen wird. Der Krieg nimmt einfach kein Ende.
Mama hört am Volksempfänger immer die Nachrichten an. Es kommt aber nur Propaganda. Militärische Erfolgsmeldungen werden verbreitet. Mal ist Mama beim Holzhacken auf dem freien Platz beim Meier-Stadl, wo auch den Sommer über, der hölzerne Schneepflug steht. Ein Lentinger kommt vorbei, es kommt zu einer kurzen Unterhaltung, während dieser sich Mama laut gegen den Krieg äußert. Da meint der Lentinger: "Frau Weber, sans doch stad! Wenn des jemand hört, kommens ins KZ nach Dachau." "KZ" ist ein Begriff, der in dieser Zeit Angst und Furcht  erregend durch die Bevölkerung kreist. Genaues weiß niemand, aber es bedeutet nichts Gutes! Naja, um beim Blockwart nicht unangenehm aufzufallen, hat Mama natürlich ein gerahmtes Bild des Führers in der Wohnung hängen.

Sonst sind die drei Frauen wie immer damit beschäftigt, alles zu machen, um wenigsten den täglichen Bedarf für das Leben zu sichern. Tante, die immer aktiv ist, schaut nach Bezugsscheinen und sonstigen wichtigen Dingen. Winterschuhe brauchen die Kinder dringend, denn sie wachsen so schnell draus. Tante Resi kommt auch dieses Jahr für eine Woche zu Besuch. Sie hat nach dem sie ausgebombt wurde, gerade einen bescheidenen Neuanfang geschafft, als sie am 31. März wieder davon betroffen wird. Aber sie lässt sich nicht unterkriegen.

Bei Mutti, beim Gockelbauer, ist der Dreh- und Angelpunkt  für jede, jeden, und für alles, was für die Familie wichtig erscheint. Wer irgendwie Probleme hat, nur mal Unterhaltung sucht, oder eine Anlaufstelle braucht, der taucht bei Mutti auf. Sie, vom Sternzeichen "Löwe" hat es gerne, wenn immer ein Hofstaat um sie versammelt ist, denn selbst geht sie nicht aus und auch nicht in andere Häuser.
Schön ist es immer, wenn der Onkel Hans dienstfrei hat. Da gibt es auch ab und zu etwas zum Lachen. Mutti ist glücklich, mit diesem lieben, treuen, zuverlässigen Ehemann. Mutti und Tante haben nun auch zwei Polenkinder, die Zilly und den Stanek in Pflege.

Es sind Kinder von den polnischen Zwangsarbeitern Bruno und Stasi, die bei einem Lentinger Bauern eingesetzt sind. Eigentlich sollten sie keine Kinder haben. Sie suchen lange nach Pflegeeltern, bis sich endlich Mutti und Tante bereit erklären, diese Aufgabe zu übernehmen.

Zwischendurch heulen die Sirenen. Die Leute schauen, dass sie in die Luftschutzkeller kommen. In Lenting sind das einfache Vorratskeller. Bei Fliegeralarm packt mich Mama und geht mit mir in den Weichenrieder Keller. Wenn genügend Zeit ist, setzt sie mich in das kleine  Leiterwagerl und fährt zum Gockelbauer Hof. Dort im Keller sind schon alle versammelt. Auf der einen Seite liegen die Kartoffel und Rüben. Auf der anderen Seite ist Stroh aufgeschüttet. Der Reihe nach sitzen wir mit dem Rücken an der kalten Bruchsteinwand und warten auf Entwarnung.
Obwohl es immer Alarm gibt, so sind bisher weder auf Ingolstadt noch auf Lenting Bomben gefallen, obwohl dass Desching mit seinem Munitionsdepot nur einige Kilometer entfernt liegt.


Die Adventszeit ist da und schreitet auf den Hl. Abend zu.

Feldpostpäckchen werden gepackt und verschickt. Schade, dass der Papa nicht da sein darf. Hoffentlich muss er an der Ostfront nicht zu sehr frieren. Für die Kinder zuhause kommt sogar der hl. Nikolaus mit seinem Knecht Ruprecht. Gerade der Knecht flößt mir mit seiner Rute und dem Sack. Angst ein. Aber wir sind ja so
brave Kinder! Wir zittern und Robert will sich hinter der Mutti verstecken. Doch das  hilft nichts! Wir müssen uns zeigen!  Wir beten, singen, tragen kleine Gedichte vor und nachdem wir fest versprechen, weiterhin brav zu sein und zu folgen, werden wir belohnt.
Wir bekommen Äpfel, Nüsse, Lebkuchen, Plätzchen  und etwas Schokolade. Das erleichtert die Wartezeit auf das Christkind. Weihnachten kommt! Mama, Mutti und Tante tun alles, um den vier Kindern ein schönes Weihnachtsfest zu bereiten. Zur Freude der Kinder gibt es bei allen drei Frauen einen Christbaum. Mama, schmückt den Baum mehr auf klassisch, mit lauter silbernen Kugeln und viel Lametta. Tante gibt ihrem Baum ein mehr winterliches Aussehen und "beschneit" den Baum mit viel Watte.

Muttis Baum ist bunt. Alle Farben und Formen der Kugeln kann man darauf bewundern. Die Kinder freuen sich über alle drei und natürlich über die Geschenke, die sie darunter vorfinden. Die Mütter haben auch keine Arbeit, Mühe, Kosten und Anstrengung gescheut. Meine Puppen, die Resi und der Hans sowie mein Puppenwagen sind  vor Weihnachten plötzlich verschwunden. Auch bei Beate ist das passiert. Mama erklärt, die Engelchen, die dem Christkind helfen, haben diese Sachen geholt.

Wenn ich morgens aufstehe, finde ich in der Küche oft verdächtige Fäden und kleine Stoffreste. Ja, die Engelchen waren hier und haben gearbeitet. Kurz vor Weihnachten ist im Kindergarten das Christkind schon da.Es stellt oben in der Nähschule einen wunderschönen Christbaum auf und wir singen:  "Am Weihnachtsbaum die Lichter brennen..." und andere Weihnachtslieder. Jedes Kind bekommt ein schönes Päckchen. Alle sind glücklich. Endlich ist der Hl. Abend da!  Überall läutet das Glöckchen zur Bescherung. Es wird gemeinsam gebetet für alle die im Krieg sind. Lieber großer Gott lass alle gesund heimkehren und bitte, gib uns den Frieden!!!

Erst als auch noch die Weihnachtslieder gesungen sind, darf ich schauen. Da tauchen wirklich meine Puppen wieder auf, jedoch ganz neu ausstaffiert. Auch der Puppenwagen zeigt sich in neuer Ausstattung. Natürlich gehört auch das Kripperl zum Weihnachtsfest! Alle sind wir glücklich und zufrieden. Es gibt keinen Bombenalarm.
Die Woche bis Silvester geht schnell vorbei und der Jahreswechsel  vollzieht sich ganz ruhig. Hoffentlich geht Krieg im neuen Jahr zu Ende und bringt uns den lang ersehnten Frieden!!!.

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