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Die neue Zeit

Mia die Feder > Nach'm Kriag

Die neue Zeit...

Die folgenden Tage...Wochen... Monate... Jahre....
Nicht alle Eindrücke und Erinnerungen an die Jahre 1945 bis 1948 kann ich zeitlich
genau zuordnen und so berichte ich eben, so wie es mir in den Kopf kommt.


Das Überleben

Der Krieg ist zwar vorbei, aber die Zeiten sind sehr schlecht.
Man findet, dass sie immer noch schlechter werden. Es gibt fast nichts zu kaufen.
Was blüht, das sind der Schwarzmarkt, die Hamsterei, die Tauschgeschäfte, sowie
die Hehlerei und Stehlerei.
Die drei Frauen unternehmen aber alles, um einigermaßen überleben zu können.
Mutti hat wenigsten einen Mann. Onkel Hans ist ein fürsorglicher Familienvater, der immer
nett zu uns Kindern ist. Aber leider kann er aufgrund seiner Dienstzeiten nicht jeden Tag
nach hause kommen. Alles, was zum Lebensunterhalt beitragen kann, wird ausgenutzt.
Holz ist schwer zu bekommen. Obwohl Lenting ein Sägewerk hat, ist es schon ein Glück,
wenn eine einen Bezugsschein für einen Ster Holz bekommt. Die Wälder sind fast wie
ausgekehrt. Man muss schon sehr weit fahren, um mehr zu finden. Billiges Fallobst kaufen
wir bei der Frau Hofmann, Holler gibt es im Dorf genug, Brombeeren, Schwarzbeeren
und Himbeeren werden gesucht. Auch Eicheln und Buchecken klauben wir.
Zipperl, Zwetschgen und Birnen bekommen wir im Herbst von den Stammhamern.
Mama verarbeitet alles zu Mus, Kompott, Gelee und Saft, um für den Winter vorzusorgen.
Auf die Weckgläser, die dazu notwendigen Gummiringe, die Flaschen, den Einmachtopf
und das Thermometer für die Einwecktemperatur achtet Mama sehr, damit ja nichts
beschädigt wird. Im Dachzimmerchen bei Mutti stellt Mama hinter der Türe ein Holzregal
auf. Das hat sie selbst gezimmert. Mama ist einfach eine praktische Frau.
In dem Regal bewahrt sie all das Eingemachte auf, damit auch im Winter etwas da ist.
Meistens ist Mama  außerdem bis in die späte Nacht hinein mit der Herstellung von
Hausschuhen und Pantoffeln beschäftigt. Sie macht viele im Auftrag der Bekannten, die
auch wenigstens teilweise das notwendige Material mitbringen. Ansonsten ist sie glücklich,
wenn sie irgendetwas ergattern kann.
Wichtig für sie sind haltbare Stoffe, besonders aus alten Mänteln und Jacken, Filzstücke für
die Sohlen oder auch Laufdecken von Fahrrädern. Sehr schwierig ist es, kleine Nägel,
Zwirne und starke Nadeln für die Nähmaschine aufzutreiben.
Wenn Mama einen Vorrat an Pantoffeln und Hausschuhen erstellt hat, fahren Mutti und
Onkel Hans mit diesen im Rucksack mit der Freifahrtskarte oder Pfennigkarte bis runter
zum Bodensee und tauschen diese gegen Obst, Gemüse und was es eben zu tauschen
gibt, ein.
Die Züge sind zu dieser Zeit immer überfüllt und oft ist man auf das Trittbett angewiesen
um mitfahren zu können.
Bei diesen Fahrten machen sie auch einen Abstecher nach Donauwörth und besuchen
Onkel Walter und seine Familie. Es ist ein nettes Wiedersehen.
Onkel Gustl aus Saarbrücken hat auch mal geschrieben und wenn es möglich ist, will er
bald nach Lenting kommen, um uns zu besuchen.
Es hat sich auch irgendwie herumgesprochen, dass Mama das Kartenlegen beherrscht.


Kartenlegen

Immer wieder kommen Frauen und wollen etwas über die Liebe, über ihre
Männer, Kinder oder über die Zukunft allgemein erfahren.
Von der Kunst des Kartenslegens bin ich fasziniert.
Mama macht den Tisch frei, betet kurz, nimmt die Karten, mischt sie, lässt der Kundin
drei Häuflein bilden, legt die Karten in mehreren Reihen aus, deckt die Karten noch ab,
dabei heißt es dann "was mich deckt, was mich schreckt."..usw. und beginnt mit der
Deutung.
Da ist vom "Hohen Haus" die Rede, von der "Hauptperson", von "der falsche Frau" von
" einer Reise", vom "langen Weg" vom "Glück in der Liebe" und was man eben alles
wissen will.
Ich weiß nicht, inwieweit sich Mamas Vorhersagen erfüllt haben, aber von einigen weiß ich
es bestimmt und sie hat auch einen guten Ruf.
Mama verlangt nichts, sondern nimmt, was ihr die Frauen freiwillig geben. Mal sind es ein
paar Eier, Brot, eine Leber- oder Blutwurst oder sogar mal eine Scheibe "Geselchtes". Auf
alle Fälle helfen all diese Dinge um zu überleben.
Tante organisiert alles. Sie ist immer mit ihrem alten Fahrrad unterwegs. Vorn am Lenker
hängt ein geflochtener Kindersitz und auch auf dem Gepäckständer kann man ein Kind
mitnehmen. Ansonsten strickt sie viel und das auch für andere Leute. Besonders ihre "gesmokten" Westen und Pullover sind gefragt.
Es gibt fast nichts zu kaufen und so wird alles immer wieder genutzt. Alte gestrickte Sachen
werden aufgetrennt und die Wolle neu verstrickt. Auch Schafwolle, die auf der Haut jedoch
kratzt, wird viel verwendet. Mäntel und Jacken werden gewendet. Wenn Kinderkleider zu
kurz sind, mit einem falschen Besatz verlängert. Jedes kleine oder große Loch in Socken und  Strümpfen wird sorgfältig gestopft. Hosen sind oft hinten und vorne mit Flicken übersät.
Hat ein Eimer, eine Schüssel oder ein Topf ein Loch, wird das Stück zum Modauer gebracht,
Dort wird es "geflickt". "Lumpensammler" fahren durch die Dörfer und kaufen für ein paar
Pfennige Altpapier und Fetzen auf.


Schöne Dinge

Von einer Hamsterfahrt bringen Mutti und Onkel Hans eine Schwarzwälder Kuckucksuhr
mit. Da steigt das Ansehen von uns Kindern bei den anderen im ganzen Dorf. Wer kann
schon so eine Wunderuhr  vorweisen? Brav sitzen wir Kinder im Zimmer und warten bis
der Kuckuck das Türchen öffnet und heraus kommt. Besonders mittags um zwölf Uhr ist
es interessant, auf den Vogel zu warten, um zu hören wie er zwölfmal "Kuckuck" schreit.


Der Clenten

Irgendwann werden Mutti und eine Nachbarin im Wald beim Butzkühsammeln von
zwei Amisoldaten angesprochen, Sie suchen jemanden um ihre
private Wäsche waschen und bügeln zu lassen.
Ich denke, zu dieser Zeit kann es doch keinen der Amis schwer fallen, Frauen zu finden,
die diese Arbeit übernehmen.
Natürlich sind die Nachbarin und Mutti schon recht hübsche Frauen.
Sie wundern sich deshalb, betrachten es als Spaß, sagen ja und lachen sich ins Fäustchen,
weil sie glauben, die finden uns im Dorf sowieso nicht.
Aber da haben sie sich gebrannt.
Kaum fahren sie mit ihren kleinen beladenen Wagen zu hause in den Hof, als die
Gocklbäuerin ihnen entgegen rennt, auf zwei Amis zeigt, die dort bereits eine geraume
Zeit warten und den Hof nicht verlassen wollen.
Nun müssen die Frauen ihre Zusage einhalten. Auf der anderen Seite sind sie froh darüber,
denn für ihre Arbeit werden sie mit duftender Seife entlohnt, denn sonst können sie immer
nur die Kernseife verwenden. Manchmal bekommen sie auch sonstige gefragte Dinge.
Aber die Soldaten verhalten sich immer "gentlemanlike". Der eine der Soldaten heißt
Clenten. Er ist ein sehr netter und sehr korrekter Mann, der Sehnsucht nach seiner Familie
in den Staaten hat und dadurch manchmal ganz traurig wirkt.
Wie kann man denn traurig sein, wenn man alles im Überfluss hat, was man sich nur
wünschen kann? Er braucht doch nur den ganzen Tag im Jeep hin und her fahren und muss  
nichts arbeiten. Wenn ihm etwas nicht schmeckt, dann kann er was anderes verlangen oder
nehmen, vor allen Dingen Pudding, Kakao trinken und Schokolade soviel er mag.
Er muss nicht wie ich Reissuppe und Gelberübengemüse essen, obwohl es mich da beim
Essen immer hebt. Mama kennt da  jedoch kein Pardon. Das ist gesundes Essen. Was sie
kocht, schmeckt immer gut und das hat auch mir zu munden. Was auf den Tisch kommt,
wird gegessen.
Aus...Äpfel...Amen!
Als Clenten einmal vorbei kommt, stehe ich gerade am Hoftürl. Er hält etwas in der Hand
und verbirgt es hinter seinem Rücken. Er lacht mich an. Er meint, er hätte was für mich. Erwartungsvoll schaue ich ihn an.
Da zieht er seine Hand nach vorne und hält mir eine runde, leuchtende Frucht, die ich
nicht kenne, entgegen. Es ist eine große Orange, die wie ein goldener Ball ausschaut und
wunderbar duftet! Er lässt diesen goldenen Ball in meine Hände gleiten und meint:
"For you".  Natürlich muss ich diese Köstlichkeit mit allen in der Familie teilen.
Noch heute habe ich diesen verführerischen Geruch in der Nase. Bei jeder
wohlriechenden Navelorange denke ich an diese von Clenten.
Noch etwas mach er:
Er lernt mir das Zählen in seiner Sprache.
Als ich bis zehn "one -two - three" usw zählen kann, bin ich mal wieder total eingebildet.
Ich spreche Englisch! So eine Gescheite bin ich!
Zu seiner Freude, für mich leider, leider wird Clenten bald darauf  zurück in die Staaten
berufen. Doch er lässt etwas für Mutti und Onkel Hans da, nämlich ein Wörterbuch
"Englisch-Deutsch und Deutsch -Englisch". Dieses Buch überlässt mir Mutti später.
Es begleitet mich noch viele Jahre.


 
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