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Die Protestanten

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Die Protestanten

Mit der Flut von Menschen aus allen Gebieten kommen auch welche an, die nicht katholisch sind.
Ich kenne keine Protestanten, aber ich weiß, sie gehen nicht in unsere Kirche, beten kein "Gegrüßt seist du Maria..", haben kein Weihwasser und beichten nicht im Beichtstuhl.
Ihre Kinder gehen auch nicht in den Religionsunterricht, sondern halten sich dann im Hof auf. In meiner Klasse sind keine Protestantenkinder. Gott sei Dank, denn wie man so hört, darf man diesen Leuten und auch ihren Kindern  nicht über den Weg trauen.
Mama, Mutti und Tante haben keine Vorurteile, aber ich!
Schon das Wort "P r o t e s t a n t e n " hört sich sehr gefährlich an!
Ich bin mit Mama und Tante unterwegs, als uns einige Leute entgegen kommen. Tante flüstert der Mama zu: "Das sind die Diepolds, das sind  Protestanten. Ich erschrecke sichtlich und greife nach Mamas Hand. Aber ich bin auch neugierig. Wie diese gefährlichen Leute wohl ausschauen? Da muss man doch was merken!
Schon sind die drei Diepolds in unserer Höhe und gehen vorbei. Es ist eine kleine, etwas rundliche Frau mit einem freundlichen Gesicht, ein älterer Mann mit langsamen Schritten und ein kleiner, schüchterner Bub, der vielleicht in Roberts Alter ist. Sie grüßen uns freundlich, sagen zwar nicht "Grüß Gott," sondern "Guten Tag."
Das war es. Mama und Tante sagen: "Des san doch genau so Menschen wia mia (wie wir)! Meine Angst ist vorbei.


Die Gerlinde

Natürlich kommen auch Flüchtlingskinder in unsere Schule. In meine Klasse geht die Gerlinde Leitner. Sie ist so alt wie ich. Ihre Familie, die Eltern mit drei Töchtern,  ist gleich in der Nachbarschaft beim Tischler ntergebracht.
Alle drei Mädchen haben Namen, die mit Ger... anfangen. Gerlinde, Gerhilde, Gertraud. Ihr Vater war in ihrer Heimat Lehrer. Er wirkt so aristokratisch (sagt Mama), ist aber äußerst bescheiden. Weil er keine Schuhe hat, oder diese schonen  will, geht er barfuss in den Wald. Auch ein Wagen steht ihm nicht zur Verfügung. So schleppt er alles auf dem Rücken nach Hause.
Ich gehe gerne zu den Leitners, denn die sind alle nett und lassen mich sogar immer von ihrem Essen kosten. Ich kann mir nicht vorstellen, wie diese fünf Leute in einem Zimmer übernachten. In zwei Betten sind die Federbetten aufeinander gelegt, darüber ist eine bunte Decke gebreitet. So sieht man das in vielen Flüchtlingswohnungen.
Gerlinde ist ein ganz ernstes Mädchen, das fast nie lacht. Sie darf sogar zu mir kommen. Ich glaube, sie ist bis dahin das einzige Kind, welches mich besuchen darf. Auch Beate ist gerne dabei und wir spielen schön mit den Puppen. Doch eines Tages ziehen die Leitners weg nach Hundszell. Der Vater hat dort wieder eine
Anstellung als Lehrer bekommen. Ich bin sehr lange traurig, weil so eine liebe Freundin weggeht. Ich höre auch nichts mehr von ihr.


Die Schwestern

Mit einem Transport kommen auch zwei Mädchen an. Es sind Erika und Irmgard. Sie waren auf Kinderlandverschickung und haben in den Wirrnissen der Flucht ihre Mutter verloren. Die Erika kommt zu den Bogners, die Irmgard zu den Reglers.
Die Frau Regler ist eine gute Freundin von Tante. Beate und ich nennen sie Tante Leni. Die Reglers haben selbst keine Kinder. So nehmen sie die Irmgard mit aller Liebe an. Auch die Irmgard hängt mit all ihrer Kinderliebe an ihnen und nennt sie Papa und Mama. Doch eines Tages findet ihre Mutter durch das Rote Kreuz ihre Mädchen wieder. Sie kommt schnell, um diese zu sich zu nehmen. Tante Leni will das Kind nicht mehr hergeben. Auch die Geschwister wollen ihre neuen Mütter nicht mehr verlassen, denn sie können sich an ihre richtige Mutter nicht mehr erinnern. Die Kinder werden mit Gewalt abgeholt, dabei spielen sich dabei herzzerreißende Szenen ab.


Das Waisenkind

Eine Frau ist mit ihrer kleinen Tochter in Lenting angespült worden. Sie sind in einem Zimmer bei den Langermeiers untergebracht. Da wird die Mutter krank. Eines Tages heißt es, sie ist gestorben. Das Kind wird bei der Familie zunächst untergebracht. Alle Schulkinder gehen zur Beerdigung. Ich kann das Bild nicht vergessen, wie das Mädchen herzzerreißend weinend am Grab seiner Mutter steht. Trotz der Kinderschar und die Erwachsenen, die es am Grab umgeben, wirkt das Mädchen in ihrer Traurigkeit ganz verlassen und verloren.
Angeblich gibt es keine Verwandten, die für das Kind zuständig wären. Wenn ich an das Mädchen denke, muss ich weinen und ich bitte Mama, dass sie das Mädchen nehmen soll. Natürlich kann mir Mama diesen Wunsch nicht erfüllen. Kurz darauf ist die Kleine dann weg. Ich weiß nicht, ob sie in ein Waisenhaus gekommen ist oder ob doch noch ihr Vater oder sonstige Verwandte gefunden wurden. Am Radio hört man ja täglich Suchmeldungen des Roten Kreuzes.


Der Herr Baldauf

Ich könnte auch von Einheimischen viele Schicksale erzählen. Doch ich will nur einige erwähnen. Der Herr Baldauf ist ein echter Lentinger. Aber auch bei ihm hat der Krieg Spuren hinterlassen. Jedes Monat kommt er einmal zu uns, liest den Stromzähler ab und kassiert das Geld für den Verbrauch. Wenn er redet, schnappt er nach Luft und stottert jedes Wort heraus.
Ich frage die Mama, warum der Herr Baldauf nicht reden kann. Sie erzählt mir, früher konnte er ganz normal sprechen. Aber im Krieg wurde er verschüttet. Er wurde zwar gerettet, aber seitdem stottert er.


Der Bäckerbauernbub

Aber auch sonst haben viele der "Einheimischen" Schicksalsschläge zu überwinden. Da gibt es gefallene oder vermisste Väter und Söhne, Kriegsversehrte und andere Behinderte. Frauen sterben im Kindsbett. Kaiserschnitt ist ein lebensbedrohender Eingriff.
Der Bub vom Bäckerbauer besucht die dritte Klasse. Eines Tages kommt er nicht in die Schule weil er Bauchweh hat. Er kommt auch am nächsten Tag nicht, er kommt überhaupt nicht mehr. Nach einigen Tagen hört man  das Sterbeglöckchen läuten.
Der Franz ist an einem Blinddarmdurchbruch gestorben. Wieder mal gehen alle Schulkinder zur Beerdigung.


 
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