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Die Verwandten

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Die Verwandten 1943

Der gedämpfte Jahreswechsel ist vorbei. Das Leben geht seinen Gang. Ich werde vier, Beate drei und Robert zwei Jahre alt. Im Sommer werde ich noch ein Geschwisterchen bekommen. Mein Leben und meine Interessen spielen sich aber hauptsächlich im Kindergarten ab. Hier gibt es für die Kinder immer volles Programm, es kommt nie Langweile auf. Beate ist nun auch hier. Zuhause sind wir immer zusammen, aber im Kindergarten nicht.

Manchmal kommt Besuch nach Lenting. Tante Resi aus Nürnberg ist da und verbringt eine Woche bei uns. Sie hat zwei Kinder. Die Tochter Anni ist schon siebzehn, Ernst, der Sohn zwölf Jahre alt. Anni ist bei  Tante Resis Schwester, der Rosa in Hemau. Dort arbeitet sie bei einem Bauern. Ernst ist bei Verwandten in Fürth. An diesen Wohnorten sind sie vor Bombenangriffen einigermaßen sicher. Tante Resi selbst steht zurzeit vor dem Nichts. In Nürnberg wurde sie ausgebombt.

Tante Resi ist von Muttis Cousinen, die ich zwar alle sehr mag, meine liebste. Sie ist eine total selbstlose und liebe Frau. Sie hat etwas krumme Beine und ist keine Filmschönheit. Aber sie hat wunderschöne Augen.! Goldplättchenaugen! In ihren Pupillen schwimmen Goldplättchen. So empfinde ich das. Diese Augen findet man ganz selten. Nur noch Tante, Muttis Schwester, der Ernst, Sohn von der Tante Resi und die Tante Kuni haben solche Wunderaugen. Tante Resi hat erst spät geheiratet. Trotz ihrer zwei Kinder hat sie einen sehr lieben, guten Mann gefunden. Leider ist er zurzeit auch an der Front. Wenn Mama Besuche macht, nimmt sie mich immer mit. Wir gehen alles  zu Fuß.

Wir besuchen Mamas Freundin, Tante Berta in Gaimersheim. Sie freut sich immer aufrichtig über unser Kommen. Ihre Ehe ist nicht glücklich. Sie hat den Sohn  Bert mit in die Ehe gebracht. Der Erich, den sie von ihrem Ehemann hat, ist so alt wie ich. Er ist ein komischer Bub. Er mag mich bestimmt nicht besonders, ich ihm auch nicht. Aber er hat viele Spiele.Wenn ich mit Mama dort bin, spiele ich mit ihm "Mikado" " Halma" "Mensch ärgere dich nicht" oder "Schwarzer Peter."

Mama und Tante Berta besprechen ihre Probleme. Tante Berta lehnt ihren Mann ab. Manchmal senken sie beim Gespräch ihre Stimmen und flüstern fast. Mit lauter Spielen geht der Nachmittag schnell vorbei. Mama lobt  mich, weil ich so brav war und so schön mit dem Erich gespielt habe. Zwischendurch gehen wir immer mal nach Stammham, denn dort sind gleich vier Schwestern von Papa. Reich sind sie alle nicht, aber sie haben ihr gutes Auskommen. Anna hat das Stockinger Sachl übernommen .Die Kathi den Bienen-Martl genommen; die Franzi  nach Westerhofen in das Rackl-Sachl geheiratet . Die  Mary, Kriegerwitwe, wohnt mit ihren zwei Buben im eigenem, kleinen Haus mit einem Garten. Wer in dieser Zeit über einen Kartoffelacker,  einen Obst-und Gemüsegarten verfügen kann, ein paar Schweine, Gänse, Enten, Hühner oder Hasen hat, dem geht es schon  gut.

Naja, so begeistert sind  die "Stammhamer"  meist nicht,  wenn wir aufkreuzen. Die "Lentinger" wollen doch meist nur was. Um aber beim Bruder nicht als geizig hingestellt zu werden, rücken sie kleine Mengen aus ihren Vorräten heraus. Kathi, deren Mann im Garten Bienenstöcke hat, macht mir ein ganz großes Honigbrot. Martl, ihr Mann,  schüttelt extra seine Obstbäume etwas. Dann werden uns auch noch einige Eier in Zeitungspapier eingepackt. Natürlich lässt sich  Mama die Sachen nicht ganz umsonst geben. Sie nimmt Hemden der Schwäger mit, um  abgescheuerte Henmdkragen zu wenden oder aus dem Hemdenstoß neue zu nähen. Auch sonstige Näharbeiten erledigt sie. Aber Mama ist zufrieden. Wohlgelaunt machen wir uns auf dem Heimweg.

Es ist ein herrlicher Sommertag, als sich kurze Zeit später Mama mit mir auf den  Weg macht, um die fünfte Schwägerin, die Bawett in Ingolstadt zu besuchen. Sie ist Witwe und wohnt mit ihrer Tochter und dem Enkelsohn gleich am Stadtrand im Rangiergelände des Nordbahnhofs in einer Baracke. Kaum haben wir  Oberhaunstadt hinter uns gelassen, laufen im Schatten die Pappelallee entlang, biegen rechts ab in die Ringlerstraße, kommen fast bis zum Gaskessel, laufen auf ausgetretenen Wiesenpfaden und überqueren unzählige Gleise, bis wir ankommen. Die Verhältnisse, in denen die Familie lebt, sind ärmlich. Darum wird sie von ihren Stammhamern Schwestern gelegentlich etwas unterstützt. Es bedrückt Tante Bawett, dass ihr einziger Enkel Peter seit seiner Geburt querschnittgelähmt ist. Obwohl es ein heller, sonniger Tag ist, ist es im Wohnraum der Baracke finster und  muffig, es riecht nach Urin.

Peter, der zwei Jahre älter ist als ich, liegt spielend  auf einer Gummimatte auf dem Boden. Ich staune, wie schnell er sich auf seinen Ellbogen vorwärts bewegen kann. Spielsachen hat er! Was man sich nur denken kann!  Der Fußboden ist übersät damit. Ich werde fast neidisch! Das Leid von Peter kann ich nicht erfassen. Stolz führt uns Tante Bawett draußen zu ihren Hasenstall. Sie zeigt uns auch ihre Ziege, die an einem dünnen Baumstamm angebunden ist. Hernach wird uns Ziegenmilch angeboten. Mir schmeckt sie überhaupt nicht, ich will sie nicht trinken. Aber ein gutes Marmeladenbrot gleicht das wieder aus. Am Spätnachmittag machen wir uns auf den Rückweg. Mama  meint, wie glücklich wir mit unserem Leben sein müssen. Sie hat sehr viel Mitleid mit  den Probsts, aber helfen kann sie auch nicht.


 
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