A Leb'm

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In Lenting

Mia die Feder > I bin da

Ich komme nach Lenting

Am nächsten Morgen geht es bei den Hallers ziemlich hektisch zu.
Endlich stehen die zwei Lentinger mit mir als Neulentingerin im Kinderwagen und  Gepäck am Heidelberger Bahnhof.
Der Zug kommt ohne Verspätung. Mutti hilft noch bei dem Einstieg. Als Mama, Tante und der Kinderwagen mit mir gut untergebracht sind, verabschiedet sie sich. Sie hat Tränen in den Augen, als sie sich nochmals über den Kinderwagen beugt.
"Im Juli bin ich bei euch! Ich freue mich schon jetzt!"
Die Fahrt ist angenehm, es gibt keine Schwierigkeiten. Unter den Reisenden sind viele Soldaten, die auf Grund von irgendwelchen Befehlen unterwegs sind.
Ich werde auf Armen getragen, gefüttert, trocken gelegt, eingecremt und gepudert, dass ja meine empfindliche Haut keinen Schaden erleidet.
Was will ich mehr? Ich genieße die volle Zuwendung.
Dafür bin ich auch ganz brav und verschone das Abteil mit Babygeschrei. So kommen wir gut in Ingolstadt Hbf  an. Wir müssen nur noch in den Riedenburger Zug umsteigen und treffen kurz darauf  in Lenting ein.
Hans, der gerade einige Tage Urlaub hat, steht bereits am Bahnhof, um seine drei Frauen abzuholen.
Er beugt sich über den Kinderwagen und lacht mich freundlich an.
"Na, du Kloane"
Weil ich so klein bin, werde ich in Zukunft außer Mia und Feder  auch "de Kloa"  (die Kleine) genannt. So habe ich also noch einen Namen dazu. Mama hat natürlich schon vor ihrer Abfahrt einen Stubenwagen hergerichtet, ich bin bald fest in die Familie integriert.
In den restlichen Urlaubstagen beschäftigt sich Hans viel mit mir. Er entwickelt wirklich ein "väterliches" Verhalten. Nun habe ich also "Mama und Papa"  und eine "Mutti".

1939 Mein Vater, die Liebe, das Kind und die Vaterschaft

Eine Woche später besucht mich sogar mein Vater. Er nimmt mich auf  den Arm. Ich reiße mich zusammen und lache ihm an. Er nennt mich "Mia" und auch "Marion", die französische Koseform für Maria.
Trotz all meiner Anstrengung hält sich seine Begeisterung für mich zunächst in Grenzen. Er will mich wieder besuchen, wenn Mutti da ist. Mama redet mit ihm, dass er doch auch zu meinem Lebensunterhalt beitragen soll. Er ist außerdem immer noch nicht als mein Vater eingetragen. Aber er ist nicht ganz davon überzeugt, dass er ein so blasses, farbloses Kind gezeugt haben soll.

Vielleicht hat seine Mutter in Heidelberg doch Recht mit der Ansicht, dass er gar nicht der Vater ist, obwohl seine Mutter Thea vor der Schwangerschaft überhaupt nicht kannte.
Die Mutter beeinflusst ihren Mann so stark, dass er ihr zustimmt und ebenfalls gegen Thea ist.
Seine Eltern wollen nicht, dass er mit ihr zusammenbleibt. Fritz lässt sich von diesen so beeinflussen, dass er unter ihrem Zwang, wenn auch mit schweren Herzen, die Beziehung mit Thea. als  beendet betrachten muss, aber ohne ihr die zu sagen.
Sein Vater sagt zu ihm, "entweder die Thea oder wir,  deine  Eltern."
Außerdem wird er erst im Februar 1940 volljährig und die Eltern  werden niemals einer Ehe zustimmen.
Die Mutter hetzt in Briefen an Fritz so lange gegen die Mutti, dass er Selbst Zweifel an der Vaterschaft bekommt. Als er in einem Brief  an Mutti diese Vermutung äußert, ist diese stinksauer.
Wie kann er so über sie denken?
Wenn sie nach Lenting kommt, wird, eine große Aussprache fällig! Sie wird ihm die Meinung richtig geigen!
Nein, so hat die Beziehung keine Grundlage! Naja, die Beziehung ist doch schon vorbei.

Der Liebeskummer und das schriftliche Versprechen

Doch Fritz hat Liebeskummer, und das wie! Er kann seine große Liebe nicht vergessen! Immer, wenn er Zeit hat, fährt er nach Lenting  und besucht sein kleines Töchterchen Mia.
Je öfter er das Kind sieht, umso lieber mag er es.
Im Mai hält er es nicht mehr aus. Entgegen aller Verbote seiner Eltern schreibt er an Thea nach Heidelberg einen Brief.
Gleich zu Beginn des Briefes bittet er die Thea, dass sie den Brief allein lesen und diesen nie seiner Familie gegenüber erwähnen soll.
Er bittet seine geliebte Thea um Verzeihung für das Unrecht, das er ihr angetan hat. Er schreibt, "ich gebe dir das schriftliche Versprechen, dass ich dich heiraten werde."
(Brief liegt heute noch vor).
Er kann sich ein Leben ohne Mutti und mir überhaupt nicht mehr vorstellen. Er verfasst sogar noch ein Gedicht für sein Liebes, seine  Thea:

Dem Blümlein gleich im Frühlingshage,
An Leib und Seele ohne Fehl,
Warst Du die Freude meiner Tage,
Mein Sorgentrost und mein Juwel.

Kein Wölkchen, das sich nicht zerteilet,
Vor Deinem sonnigen Gesicht.
Und wo Du gingst, und wo Du weiltest,
War Deine Liebe, war Dein Licht.

Du lächelst und ich muss Dich lieben,
Ein Blick und Du gewannst mein Herz.
Doch ach, was ist von Dir geblieben?
Viel Kummer und ein großer Schmerz.

In den folgenden Monaten werden  die Briefe immer heißer. Er schwärmt, träumt, liebt von ganzen Herzen seine Thea und ach sein so liebes Kind.
Aber in allen Briefen ist die Angst, dadurch seine Eltern und Geschwister zu verlieren, deutlich zu spüren.
Er fragt auch nach meiner Geburtsurkunde, die er für den Kompanie-Chef braucht. Mutti schickt sie ihm. Fast täglich trifft ein überschwänglicher Brief von ihm ein. Er hat mich als sein Kind angemeldet, also werde ich versorgt sein.
Ich freue mich immer, wenn mein Papa kommt, mich auf den Arm nimmt  und sich mein Geplapper anhört. Ich bin ja nun schon sieben Monate alt und bilde mir eine Menge ein. Am 2. November 1939 soll vor dem Amtsgericht in Ingolstadt die Sache mit der Vaterschaft endlich amtlich erledigt werden, jedoch ganz im Geheimen, ohne Wissen und Zustimmung seiner Eltern.

Papa will dabei auch gut aussehen. Er lässt sich extra für sich eine Uniform schneidern.
Stolz geht er gleich zum Fotografen und schickt Mutti ein Bild.
In dieser Uniform will er Mutti, die am 1. November aus Heidelberg anreisen soll, vom Ingolstädter Bahnhof abholen.
Doch zu dem geplanten Termin, den Mutti durch seine Briefe belegen kann, kommt es nicht.
Ich weiß nicht warum, werde es auch nie mehr erfahren.
Ich nehme an, seine Eltern haben ihn im letzten Moment einen Strich durch seine Familienplanung gemacht.
Mutti hat sich so auf ein Wiedersehen gefreut, denn sie ist in den letzten Monaten überhaupt nicht mehr heraus gekommen. Sie ist doch voller Lebenslust, will endlich mal wieder mit jungen Menschen beisammen sein, sie will lachen, tanzen, singen und auch die körperliche Liebe und Zärtlichkeit fehlen ihr!
Aber noch hofft sie! Er wird sie heiraten! Er hat ihr doch alles versprochen!

Das freie Wochenende im Juli 1939

Jetzt greife ich aber den Ereignissen voraus.
Zunächst ist erst das  freie Juli-Wochenende da. Mutti fährt voller freudiger Erwartung nach Lenting. Sie hat so Sehnsucht nach Fritz. Er weiß, dass sie kommt, und er will sie abholen.
Aber es kommt mal wieder ganz anders, als geplant. Fritz hat sein Kommen wegen angeblichen Dienst abgesagt. Dafür steht Mama mit bedrückter Miene, aber ohne Kinderwagen am Bahnhof.
"Die Kleine ist sehr krank. Sie hat hohes Fieber. Ich war heute schon mit ihr beim Doktor in Kösching. Er meint, es ist eine  Lungenentzündung"
Mutti fährt der Schreck in die Glieder.
"Wer ist dann jetzt bei ihr? Der Urlaub von Hans ist doch vorbei und Maria arbeitet." fragt sie.
"Anni und Karl aus Nürnberg sind mit dem Motorrad zu Besuch da."
Anni ist Mamas Nichte, also Muttis Cousine und Karl ist ihr Mann.
Mutti hat sich so gefreut, mal am Abend ein wenig weg zu kommen. Nun  sieht sie wieder schwarz. Trotz aller Freude, ihre kleine Feder wieder zu sehen, schaut sie enttäuscht in den Stubenwagen. Die Kleine liegt dort, ihre Wangen sind gerötet, der Atem rasselt.
Trotz allem verbringen sie alle einen angenehmen Abend. Maria kommt noch dazu. Anni und der gut aussehende Karl sind ein lustiges Paar, das immer heitere Geschichten zu erzählen hat.
Am nächsten Morgen geht es mir zwar  nicht gut, aber das Fieber ist etwas gesunken.
Karl flirtet gerne und Mutti macht ihm schöne Augen. Nein, sie hat keine bösen Absichten, aber es macht ihr etwas Spaß.
Mama fährt heute mit dem Rad in die Stadt fahren, denn sie muss dort im Laboratorium wegen Arbeitseinsatz vorsprechen.
Sie ist beruhigt, denn Thea, Anni und Karl sind bei der Kleinen. Doch Mutti fühlt sich durch mich, meine Erkrankung und vom Dienst,  den Fritz angeblich hat, um das schöne Wochenende, auf das sie sich so lange so gefreut hat, betrogen.
Übrigens geht es mir heute schon besser. Da überlegt Mutti angestrengt hin und her, wie sie ein wenig ausbüchsen könnte.
Noch dazu ist draußen strahlendes Wetter. Mit dem Motorrad ins Grüne, das wäre doch wunderschön!
Sie muss sich ja außerdem über die Rückfahrt nach Heidelberg informieren.
Da hat sie auch schon eine Idee!
Unverblümt fragt sie Karl: "Du Karl, kannst du mich nicht nach Ingolstadt fahren?. Ich müsste wegen meiner Rückfahrt nach Heidelberg schauen".
Anni schaut überrascht auf. Die Flirterei der Thea mit ihrem Mann passt ihr schon die ganze Zeit nicht.
Aber Karl meint, "Natürlich fahre ich dich"
Anni ist über die prompte Zustimmung ihres Mannes verärgert.
"Dein Kind ist doch schwer krank!"
"Ach, du bist doch da und Mama kommt ja auch wieder. Wir sind auch gleich  wieder zurück."

Beide beeilen sich nun, weiter zu kommen, damit sie ja niemand mehr aufhalten kann. Mutti wirft nicht mal mehr einen Blick auf mich! Und es geht mir wirklich nicht gut!
Schon startet unten Karl das Motorrad und rattert mit Thea auf dem Sozius aus dem Hof. Meine Tante Anni, wie ich sie nenne,  ist wütend, ich fange zu weinen an.
Vor lauter Aufregung über das Verhalten meiner Mutti steigt mein Fieber wieder an. Das bringt die Tante Anni ganz aus der Fassung. Da sitzt sie nun alleine und hilflos mit diesem, ihrer Meinung nach, totkranken Kind da. Sie weiß wirklich nicht, was sie machen soll.

Die Minuten kommen ihr wie Stunden vor. Abwechselnd schaut sie zu mir in den Stubenwagen und ist der Meinung, dass es mir sehr schlecht geht.
Sie schiebt den Wagen nervös hin und her. Immer wieder geht sie an das Fenster und schaut auf die Hauptstraße hinunter.
Niemand kommt! Ingolstadt ist doch nur fünf Kilometer weit weg! Was die zwei wohl machen? Eifersucht und Misstrauen nagen an ihrem Herzen.
Endlich! Nach mehr als drei Stunden hört sie das Motorrad. Lachend, in bester Laune kehren sie zurück. Onkel Karl merkt sofort, dass seine Frau sauer ist.
Er drückt sie. "Wir waren im Kino," erklärt er. Was soll sie da auch noch sagen oder fragen?
Endlich findet Mutti Zeit, sich um mich zu kümmern. Ja, heute bin ich enttäuscht von ihr. Bald kommt auch Mama zurück, Papa  ist nach Dienstschluss ebenfalls pünktlich zuhause. Auch Tante verbringt den Abend bei ihnen. Der Kinobesuch wird nicht mehr erwähnt.
Morgen muss Mutti wieder nach Heidelberg. Auch Tante Anni und Onkel Karl brechen am nächsten Tag zur Rückfahrt nach Nürnberg auf.
Viel habe ich an diesem ersten Wochenende von meiner Mutti nicht gehabt. Ihr Blick ist schon etwas schuldbewusst, als sie sich am nächsten Morgen über mich beugt und sich von mir verabschiedet.
"Sei nicht böse meine Kleine! Du musst ganz schnell gesund werden! Ich komm doch bald wieder. Da habe ich dann viel Zeit für dich."
Mir bleibt also nichts übrig, als auf ihr nächstes freies Wochenende im August zu warten. Doch die Aufregung vom Wochenende hat meinen Gesundheitszustand negativ beeinflusst.
Mein Fieber ist wieder gestiegen. Mein Gewicht ist weniger geworden. Mama ist sehr beunruhigt.
Doch ich lasse mich nicht so einfach unterkriegen. Ich doch nicht!

Muttis nächster Besuch und das Fräulein Babette (bayrisch Bawett)

Ich kämpfe gegen meine Krankheit an und langsam wird alles besser. Bis zu Muttis nächsten Besuch bin ich ganz gesund. Mutti freut sich, als sie mich wieder so munter sieht. Sie packt mich in den Kinderwagen und fährt mit mir in Lenting spazieren.
Gerade als sie den Kirchberg hinauf schiebt, kommt ihr Bawett entgegen.
Bawett ist eine Bauerntochter, die aus dem "Hennamo Hof" stammt. Dort hilft sie immer bei den Arbeiten, die auf dem Hof ihres Bruders, dem Adam anfallen.
Im Lentinger Gemeindehaus hat sie ein Zimmer. Sie ist nicht verheiratet, hat aber einen zwanzigjährigen Sohn, den Rupert.
Bawett liebt es, mit jedermann ein wenig zu ratschen. Sofort geht sie auf Thea zu und schaut ihr Kind an. "Mei, dei Kloane ist liab und du bist a no scheener worn, (und du bist auch noch schöner geworden),"  stellt sie fest.
Selbst ist Bawett eine einfache Frau. Sie hat kupferrotes Haar, das sie geflochten zu einem "Schopf" im Nacken zusammengesteckt hat.
Sie trägt meist ein Kopftuch, wie es zu dieser Zeit bei den Landfrauen so üblich ist. Über einem dunklen Gewand hat sie eine  Kleiderschürze  an. Auch im Sommer stecken ihre Beine in  Strickstrümpfen und einfachen Pantoffeln.
Aber trotz ihres farblosen Aussehens sind manche Männer, wie es im Dorf  heißt, scharf auf sie. Nur wenn man ihr in die Augen schaut, merkt man, dass sie noch  Feuer in ihrem Körper hat.
Ein größerer Bauer soll der Vater ihres unehelichen Sohnes Rupert sein. Sie selbst schweigt sich aus. Bestimmt hat sie Schweigegeld bekommen. Sie legt auch keinen Wert darauf, eine Ehefrau zu werden.
So aber ist und bleibt sie  ein "Fräulein",  weil sie weder verheiratet war noch ist.
Ohne Ehe bleibt man ein "Fräulein", egal wie alt man ist oder wie viele Kinder man hat.
Der Titel "Frau" steht nur einer Ehefrau zu. Das wäre ja noch schöner, wenn sich jede als "Frau" bezeichnen könnte. Der Bawett ist das wurst.
Wenn man so durch den Lentinger Friedhof geht, und die Grabsteine anschaut, dann sieht man erst, wie viele "Fräuleins"  es zu jeder Zeit gegeben hat.
Jetzt aber unterhalten sich Thea und Bawett ganz angeregt, bis ich die beiden durch Weinen darauf aufmerksam mache, dass ich auch noch da bin.
Sie verabschieden sich nun schnell mit "Pfüad di Gott" und gehen ihre Wege.
Mutti kehrt mit mir nach hause zurück, denn ich hab jetzt der Zeit nach Anspruch auf ein "Flascherl" sowie auf  frische, trockene Windeln. Mit dem Dietzl (Schnuller) lasse ich mich nun  nicht mehr hinhalten.
Auch wenn Mutti am Abend ein wenig fortgeht, kümmert sie sich diesmal schon sehr um mich und ich bin zufrieden mit ihr.

 
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